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Predigten

Hochfest der Diözesanpatrone Kassian und Vigilius

Bischof Ivo Muser

Brixner Dom, 5. Mai 2019

Jesus, der Auferstandene, erscheint seinen Jüngern zum dritten Mal, nachdem sie nach den niederschmetternden Ereignissen des Karfreitags traurig und mit leeren Händen in ihren Alltag zurückgekehrt sind. Sie fischen nachts und wie ihr Herz bleibt auch ihr Netz leer. Dann beginnt es zu dämmern – und auch ihnen dämmert es. Sie werden gefragt, ob sie etwas zu essen haben. Sie ziehen Bilanz und müssen gestehen: Sie haben nichts – und dieses Eingestehen gibt dem Wunder der vollen Netze erst seinen Raum. Nun schöpfen sie ihren Sinn nicht mehr aus sich, sondern aus der Gestalt vom anderen Ende des Ufers. „Es ist der Herr!“ – das ist die Ostererfahrung des Petrus und seiner Begleiter. Das ist die Initialzündung vom See von Tiberias, die durch die Jahrhunderte geht und die durch Generationen von gläubigen Menschen auch unser Land erreicht hat.

Gerade der heutige Festtag unserer Diözesanpatrone will uns sagen: Wir dürfen Christen sein! Wir tragen den Namen Christi. Sein Evangelium hat auch uns erreicht. Wir sind seine Kirche. Von Generation zu Generation bauen wir an dem Fundament weiter, das der auferstandene Herr selber gelegt hat. Heute sind wir an der Reihe!

Kassian und Vigilius, die stellvertretend für die Glaubensgeschichte und die Glaubensweitergabe in unserem Land stehen, rufen uns heute zu: „Es ist der Herr! Um diesen auferstandenen Herrn muss es euch gehen! ER ist der Grund, Christen zu werden, zu sein und zu bleiben. Seinetwegen ist es wichtig, den eigenen Glauben zu kennen, diesen Glauben zu feiern und ihn mit den anderen und auch vor den anderen zu bezeugen.“

Christlicher Glaube bezeichnet nicht eine „x-beliebige Gläubigkeit“ im Sinn von „Irgend etwas wird´s schon geben“ und „An irgendetwas muss der Mensch ja glauben“. Christlicher Glaube ist auch nicht ein Synonym für Selbstvertrauen. Christlicher Glaube ist immer gebunden an eine Person, die aus dem Raum der Ewigkeit, vom Ufer auf der anderen Seite des Lebens, also von Gott her auf unsere Welt zugeht: Es ist der Herr in der Gemeinschaft seiner Kirche!

Vor wenigen Wochen hatte ich die Freude, dass mich eine Kindergartengruppe aus Bozen besucht hat. Die Begegnung mit Kindern ist immer eine Freude. Aber meine Freude war auch deswegen so groß, weil diese Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren mit einer wunderbaren Offenheit, Neugierde und Begeisterung Fragen gestellt haben; Fragen, wie sie nur Kinder haben können; Fragen, die sie mir aber nur deswegen stellen konnten, weil in ihnen schon viel Interesse geweckt wurde und weil sie schon vieles über Jesus, den Glauben und das Kirchenjahr gehört hatten. Und ich habe ganz gleich gemerkt, woher sie das alles haben: Von den beiden Kindergärtnerinnen, die sie mit viel Liebe und Begeisterung auf diese Begegnung vorbereitet haben.

Liebe Eltern und Großeltern, segnet gerne und oft eure Kinder und Enkelkinder, lasst ein Morgen- und Abendgebet nicht einfach ausfallen; betet mit ihnen bei Tisch, erzählt ihnen von Jesus und von dem, was euch selber der Glaube an ihn bedeutet. Geht mit euren Kindern zum Gottesdienst und tragt dazu bei, dass sie sich an die Kirchenluft gewöhnen. Kinder sind für die Welt des Glaubens sehr empfänglich. Aber allein lassen dürfen wir sie nicht! Kinder werden nur dann eine Chance haben den Glauben zu entdecken, wenn sie diesen Glauben von glaubwürdigen Erwachsenen lernen und vorgelebt bekommen.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist meine schlichte und überzeugte Bitte am Fest unserer Diözesanpatrone: Schämen wir uns nicht für unseren Glauben, seien wir stolz auf ihn, verschweigen wir ihn nicht, haben wir den Mut, ihn konkret zu zeigen – nicht verschämt, nicht mit vorgehaltener Hand, nicht nur bei einigen ausgewählten Gelegenheiten, sondern mit Freude und Überzeugung!

Lasst mich am Fest unserer Diözesanpatrone jetzt noch etwas darüber sagen, wie wichtig es ist, dass wir als Christen erkannt werden im Raum der Gesellschaft und der Öffentlichkeit. Ich tue es auch ganz bewusst im Hinblick auf die Europawahlen, zu denen wir in drei Wochen aufgerufen sind.

Die Europäische Union ist nach den dramatischen Erfahrungen der Diktaturen und des 2. Weltkriegs gegründet worden, durchaus auch als christlich – humanistische Wertegemeinschaft. Nicht zuletzt überzeugte Katholiken standen am Beginn dieses Einsatzes. Der europäische Geist verliert heute aber an Kraft. Das Wir-Gefühl bröckelt wieder. Das große Wir zerfällt in immer kleinere Wirs. Im Haus Europa sind die Bewohner dabei, sich wieder mehr in ihre eigenen vier Wände zurück zu ziehen. „Vorsicht vor diesem Wir“ – kann man immer häufiger hören! Nationalistische, fremdenfeindliche, populistische und ausgrenzende Töne sind wieder salonfähig geworden!

Es macht mich als Christ betroffen, dass der Geist der Abschottung nicht selten sogar unter christlichen Vorzeichen antritt, beispielsweise um das „christliche Abendland“ zu retten. Dabei war der kühne Gedanke der ersten Christen ein anderer. Der Apostel Paulus etwa, der ganz entscheidend dazu beigetragen hat, das Christentum nach Europa zu bringen, sagt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Und über sich selber schreibt der Völkerapostel: Er sei den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche geworden (vgl. 1 Kor). Das ist christliche Identität! Eine Identität, die die eigenen Wurzeln kennt, pflegt, verteidigt und lebt – im offenen und konstruktiven Dialog mit der Identität der anderen.

Nicht die anderen gefährden unsere Identität. Und nicht die anderen sind zuständig für unsere Identität. An uns liegt es, ob wir auch heute und unter den heutigen Bedingungen Christen werden, sein und bleiben wollen. Das ist unsere Verantwortung und dabei sollten wir nicht von uns ablenken und Ängste aufbauen und schüren gegenüber dem Anderssein der Anderen.

Die europäische Gemeinschaft steht an einer Wegkreuzung: Wird nationaler Egoismus die Oberhand behalten oder können wir –  über Grenzen und Unterschiede hinweg – ein solidarisches Zusammenleben finden, gegründet auf verbindenden und verbindlichen Werten? Ganz Europa erschrak über den Brand der weltberühmten Pariser Kathedrale Notre Dame. Zu Recht! Müsste dieses Erschrecken nicht dazu führen, dass wir gemeinsam bauen an jenem geistigen, geistlichen Fundament, für das auch diese Kathedrale steht? Symbole sind wichtig, aber sie verlieren ihre Kraft und Bedeutung, wenn sie nicht mehr an die Inhalte gebunden sind, für die sie stehen! Der Brand von Notre Dame würde zu einem starken Zeichen, wenn viele Menschen wieder entdecken würden, wie kalt Europa wird ohne das Bekenntnis zur biblischen Gottes- und Nächstenliebe; wie arm und perspektivenlos unser Kontinent wird ohne die großen jüdisch-christlichen Werte, die zusammen mit der Antike und der Aufklärung die Kunst, die Kultur, die Demokratie und unsere Freiheits- und Menschenrechte hervorgebracht und geprägt haben! Ohne Hoffnung und ohne Transzendenz verliert Europa seine Seele! Christen sind keine innerweltlichen Optimisten und keine egoistischen Opportunisten, sondern Menschen, die sich am Evangelium ihres Herrn ausrichten und die so Verantwortung übernehmen für einen gemeinsamen Weg der Hoffnung.

Papst Franziskus schloss seine Dankesrede bei der Überreichung des europäischen Karlspreises im Jahr 2016 mit dem Satz: „Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand.“ 

Die Kassiansprozession ist ein Zeichen für den Weg unserer Ortskirche durch die Jahrhunderte. Wir reihen uns ein in eine lange Glaubenstradition. Wir stehen auf den Schultern der Apostel, der Märtyrer, der Heiligen, der Bischöfe, Priester und Ordensleute, der vielen Mütter und Väter, der vielen Frauen und Männer, die vor uns geglaubt haben. Heute liegt es auch an uns, ob diese Glaubensgeschichte weitergeschrieben oder unterbrochen wird.

Herr, erwecke deine Kirche und fange bei mir an!