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Hirtenbriefe

"Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat"

Vom Aschermittwoch bis zum Pfingstfest feiern Christen die wichtigste Zeit des Kirchenjahres: den Osterfestkreis. Mitte und Höhepunkt dieser Zeit sind die drei österlichen Tage vom Leiden, vom Tod, von der Grabesruhe und von der Auferstehung Christi. Vom Abend des Gründonnerstags bis zum Ostersonntag feiern wir das Fest, das über allen anderen christlichen Festen steht. Was wir einmal im Jahr in herausragender Weise und entfaltet verkünden und feiern, begehen wir Woche für Woche am Sonntag, dem christlichen Urfeiertag, dem ersten Tag der Woche, dem Herrentag. Mein erster Hirtenbrief soll bewusst ein Osterbrief und damit ein Sonntagsbrief an alle Gläubigen in unserer Diözese sein. Wieder auf den „Geschmack des Sonntags“ kommen Eine jüdische Geschichte erzählt: Ein römischer Kaiser fragte einen Rabbi, warum die Speisen am Sabbat einen so köstlichen Geschmack haben. „Wir benutzen dazu“, antwortete der Rabbi, „ein gewisses Gewürz, das Sabbat heißt, und tun es in die Speisen.“ „Dann gib uns doch etwas von diesem Gewürz“, bat der Kaiser. „Das würde dir nichts nützen“, entgegnete der Rabbi. „Es nützt nur dem, der den Sabbat hält. Für den, der ihn nicht hält, ist es nutzlos.“ Was der jüdische Sabbat und der christliche Sonntag für die Menschen bedeuten, kann man nicht aus Büchern oder auf Weiterbildungskursen lernen. Diesen besonderen Tag erlernen wir nicht durch ein abstraktes Wissen, sondern im konkreten Gestalten. Die volle Bedeutung dieses Tages kann nur erfahren, wer ihn hält. Seinen „Geschmack“ genießt nur, wer ihn lebt. Nicht nur die Zeiten ändern sich, auch das Zeitverständnis. Unbemerkt und schleichend ist aus dem Sonntag, dem ersten Tag der Woche, das „Wochenende“ geworden. Viele sagen nicht mehr „Ich wünsche Dir einen guten, gesegneten Sonntag“, sondern wünschen „ein schönes Wochenende“. Vielleicht entgegnet mir jemand: „Das ist doch ganz egal, Sonntag oder Wochenende. Hauptsache, ich habe einen freien Tag.“ Ist das wirklich gleichgültig, gleichwertig? Der Sonntag bedeutet: Die Woche beginnt mit dem freien Tag, nicht mit der Arbeit. Längst bevor wir etwas leisten, leben wir schon. Das Wichtigste im Leben können wir nicht selber machen, herstellen oder verdienen, es ist uns geschenkt. Das Leben selbst ist uns geschenkt. Wir verdanken uns Gott, sind von ihm bejaht. Dafür steht Jesus Christus. Er verbürgt uns Leben - über den Tod hinaus. Der Sonntag ist der Tag seiner Auferstehung. Christus ist die Sonne dieses Tages. Deshalb ist uns Christen der Sonntag heilig. Er ist nicht irgendein freier Tag, den man nach Belieben in der Woche herum verschieben kann. Er steht am Anfang, vor allen anderen Tagen. Er ist gleichsam das Vorzeichen vor dem Ganzen. Er ist eine Vorgabe Gottes, die dem Leben Richtung gibt: Im Zeichen der Auferstehung geht der Weg vom Tod zum Leben. Anders das Wochenende: Da sind wir am Ende. Wir ruhen uns aus und sammeln neue Kräfte, um fit zu bleiben. Wir entspannen uns, um den alltäglichen Spannungen gewachsen zu sein. Gut und schön - aber: Hat der freie Tag wirklich nur eine Entlastungsfunktion? Dann stünde er letztlich nur im Dienst der Arbeit: Um betriebsfähig, leistungsfähig, arbeitsfähig zu bleiben, erholen wir uns. Wir leben dann nur, um zu arbeiten. Dann dreht sich am Ende alles um die Leistung, um die Arbeit, und das Wochenende wird der Arbeit und den Wirtschaftsinteressen untergeordnet. Sein Tag ist unser TagDer Tag des Herrn steht an erster Stelle. Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben. Das ist ein großer Unterschied. Manche glauben, dass die Welt zusammenbreche, wenn sie einmal nichts tun; sie sind süchtig nach Arbeit. Der Drang zum Besitz und die oft unbewusste Angst vor sich selbst haben sie ergriffen, so dass sie sich selbst nicht mehr im Griff haben. Der Sonntag ist da eine heilsame, eine geradezu therapeutische Unterbrechung. Er will uns an die Leichtigkeit und Gelassenheit derer erinnern, die sich von Gott bejaht wissen. Diese von Gott geschenkte Freiheit zum Leben ist für Christen „Thema Nummer eins“. Wir können und brauchen uns nicht selbst zu legitimieren und zu erlösen! Das hat Gott schon längst getan durch seinen Sohn Jesus Christus. Für diese lebensfördernde Entlastung steht der Sonntag. Er ist sein Tag, der Tag des Herrn – und damit der Tag, der uns Menschen gehört und der uns gut tut. Das kirchliche Sonntagsgebot will dieser Freiheit dienen. Man kann den Sonntagsgottesdienst nicht einfach dem Zufall oder dem eigenen Belieben überlassen. Kostbares ist in der Regel leicht zerbrechlich und bedarf eines besonderen Schutzes – wie das Leben, die Liebe. „Nicht jeder Kuss ist der Kuss des Hochzeitstages“, sagte einmal jemand. Aber soll er einfach ausfallen, weil man nicht mehr in Hochstimmung ist? Wenn Liebe zur Beliebigkeit verkommt, dann ist es aus mit ihr. So auch mit der Liebe zu Gott, mit der Einübung in den Blick Jesu, zu dem uns der Sonntagsgottesdienst einlädt.Das II. Vatikanische Konzil, das am 11. Oktober 1962 – also vor bald 50 Jahren – begonnen hat, sagt es in seiner Liturgiekonstitution mit großer Klarheit: „Aus apostolischer Überlieferung, die ihren Ursprung auf den Auferstehungstag Christi zurückführt, feiert die Kirche Christi das Paschamysterium jeweils am achten Tage, der deshalb mit Recht Tag des Herrn oder Herrentag genannt wird. An diesem Tag müssen die Christgläubigen zusammenkommen, um das Wort Gottes zu hören, an der Eucharistiefeier teilzunehmen und so des Leidens, der Auferstehung und der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu gedenken und Gott dankzusagen, der sie ,wiedergeboren hat zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten‘(1 Petr 1,3). Deshalb ist der Herrentag der Urfeiertag, den man der Frömmigkeit der Gläubigen eindringlich vor Augen stellen soll, auf dass er auch ein Tag der Freude und der Muße werde.“ (Sacrosanctum Concilium 106) Mitte des Sonntags ist also seit der Zeit der Apostel die gemeinsame Feier des Herrenmahles. Es muss ein großes persönliches und gemeinschaftliches Anliegen sein, dass der Sonntag vor allem von der Feier der Eucharistie her sein christliches Gesicht behält bzw. wiedergewinnt. In nächster Zukunft wird es leider nicht mehr möglich sein, in allen Pfarrgemeinden die sonntägliche Eucharistie zu feiern. Ich bitte darum, dass wir alle anderen liturgischen Feiern am Sonntag – Wortgottesfeiern ohne Kommunionausteilung, die Feier des Stundengebetes, eucharistische Andachten, das gemeinsame Rosenkranzgebet – so pflegen, fördern und gestalten, dass der enge Zusammenhang von Sonntag und Eucharistie deutlich bleibt und sie die Sehnsucht nach der sonntäglichen Eucharistie nähren und wach halten. Den Sonntag wieder neu lernen Es ist wichtig, wieder neu zu lernen, den Sonntag von den anderen Tagen zu unterscheiden. Besonders Kinder, aber nicht nur sie, lernen Religion nicht hauptsächlich als Lehre, sondern als Praxis. Sie lernen sie von außen nach innen. Was Weihnachten, Ostern, Pfingsten, ein Marienfest oder ein Sonntag ist, lernen sie durch die Begehung solcher Tage und durch die Vorbereitung auf sie. Sie lernen es dadurch, dass sie auf Rhythmen und gegliederte Zeiten treffen. Eine der großen Störungen des religiösen Lernens und Lebens ist die Zerstörung der Rhythmen und die Gleichschaltung der Zeiten.„Den Sonntag heiligen“ hat man früher gesagt. Ein schönes Bild: Die Zeit nicht nur in öder Gleichgültigkeit hinnehmen, sondern ihr Würde verleihen, indem man sie begeht. Ich halte es für eine vorrangige Aufgabe der Kirche für die heilige Zeit, für unsere Festtage, und allem voran für den Sonntag, einzutreten. In der Christenheit hat sich im Laufe der Jahrhunderte viel geändert. Eines ist aber von Anfang an geblieben: Die Feier des Sonntags als ersten Tag der Woche. Schon die biblischen Ostererzählungen sind Sonntagserzählungen. Mit dem Wochenende sind wir bald am Ende, davon können wir nicht leben. Der Sonntag hingegen ist ein Schlüssel zum Leben. Von Ostern her lebenIch habe meinen bischöflichen Auftrag unter das christliche Grundbekenntnis gestellt: TU ES CHRISTUS. Dieses Bekenntnis können wir nur ablegen, weil es Ostern gibt. Der Apostel Paulus, dieser überragende Zeuge des christlichen Anfangs, bringt es auf den Punkt: „Ist Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1 Kor 15,14). „Ostern und Sonntag feiern“ ist seit der Zeit der Apostel ein persönlicher und gemeinschaftlicher Ausdruck dieses Bekenntnisses. Ich bitte alle Gläubigen um dieses Christusbekenntnis, das unsere christliche Identität trägt und das alle unsere menschlichen Beziehungen prägen muss. Begeht die drei österlichen Tage innerlich und äußerlich als die Herzmitte des ganzen Kirchenjahres! Feiert die großen Gottesdienste des Gründonnerstags, des Karfreitags, der Osternacht und des Ostersonntags als die wichtigsten Gottesdienste des ganzen Jahres und entdeckt von Ostern her wieder neu, was uns im Sonntag geschenkt ist!Der Sonntag ist heute sicher von außen bedroht, aber noch viel mehr von innen. Der Sonntag wird uns nur dann erhalten bleiben, wenn wir ihn als Christen feiern, halten und gestalten. Aus tiefer christlicher und damit österlicher Überzeugung bitte ich darum. Der gekreuzigte und auferstandene Herr ist die Mitte unserer Ortskirche. Er schenke uns persönlich und als kirchliche Gemeinschaft einen bewussten und entschiedenen Weg hin zum Fest über allen Festen. In der Kraft seines Heiligen Geistes schenke er uns eine neue Entschiedenheit für das wöchentliche Osterfest, für seinen und unseren Sonntag. Christus, der Herr, segne Euch alle in der Kraft seines Kreuzes und seiner Auferstehung,Euer + Ivo Muser, Bischof