Zum Hauptinhalt springen
Predigten

Ewige Profess von Sr. Maria Gratia Waldner

Sr. Maria Gratia Waldner von den Benediktinerinnen im Salzburger Stift Nonnberg hat am Samstag, 12. August, ihre Ewige Profess in der Klosterkirche abgelegt. Die 50-jährige gebürtige Südtirolerin gab ihr Versprechen, sich dauerhaft an die Ordensgemeinschaft zu binden und empfing die im Stift traditionell damit verbundene Monastische Jungfrauenweihe. Mit ihr feierten u. a. Ivo Muser, Bischof der Diözese Bozen-Brixen, Äbtissin M. Veronika Kronlachner OSB und Priorin Eva-Maria Saurugg vom Stift Nonnberg sowie die ehemalige Äbtissin des Südtiroler Benediktinerinnenstiftes Säben, Sr. Maria Ancilla Hohenegger, und der Erzabt der Salzburger Benediktinererzabtei St. Peter, Korbinian Birnbacher OSB.

Ivo Muser, Bischof der Diözese Bozen-Brixen und damit Heimatbischof von Sr. Maria Gratia Waldner, verwies in seiner Festpredigt auf die starke Verbundenheit der Klöster Säben in Südtirol und Nonnberg in Salzburg. Die Predigt im Wortlaut:

 

Bischof Ivo Muser
Nonnberg/Salzburg, 12. August 2023

In meiner Zeit als Regens des Brixner Priesterseminars hatten wir einmal auch einen orthodoxen Gaststudenten aus Weißrussland im Haus. Schon in den ersten Tagen seines Aufenthalts erzählte er mir etwas, was mich seither begleitet.

Zu den ersten Dekreten, so erzählte er mir, die Stalin nach seiner Machtergreifung unterzeichnet hatte, gehörte auch jenes, das Priestern und Ordensleuten verbot, in der Öffentlichkeit erkennbar zu sein und außerhalb der Kirchen oder Klöster ihre Tätigkeit auszuüben. Besonders beeindruckt hat mich die Begründung, die Stalin für dieses Verbot gegeben hatte: „Wenn man denen begegnet, könnten Menschen immer noch auf den Gedanken kommen, dass es einen Gott gibt.“

Auf eine zynische und verachtende Weise hat Stalin damit Priestern und Ordensleuten das tiefste und schönste Kompliment gemacht. Er hat auf dem Hintergrund seines ideologischen Weltbildes erkannt: Das Gefährlichste am Phänomen „Religion“ sind nicht Theorien, Argumente, Ideen und Prinzipien, sondern Menschen, die die Frage nach Gott in dieser Welt lebendig halten und die andere einladen, die Gottesfrage in ihrem Leben zu stellen.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist die entscheidende Frage, mit der gläubige Menschen ihre Umgebung herausfordern, provozieren und unruhig machen: Und wenn es Gott doch geben sollte?

Liebe Sr. Maria Gratia, was Sie heute versprechen, dürfen Sie nur tun, wenn es Gott gibt. Diese Stunde ist deswegen so kostbar, weil Sie es wagen, alles auf eine Karte zu setzen. Es geht um nichts Geringeres als um Gott und um den lebenslangen Versuch, ihn zu suchen, ihn zu lieben, ihm die Treue zu halten und so mitzuhelfen, die Frage nach ihm auch in unserer Zeit zu stellen. Durch Ihre Lebensentscheidung legen Sie das Bekenntnis ab: Gott ist Wirklichkeit. Gott ist mehr als alles. Er allein verdient unsere ganze Sehnsucht. Er ist mehr als alles, was uns dieses Leben und diese Welt bieten können. Ohne Gott hat diese Feier keinen Sinn!

Diese Feier sagt uns aber auch viel darüber, wer wir als Kirche sind. Viele sehen und verstehen Kirche heute vor allem als Institution, als Struktur, als Amt, als Behörde, als Organisation. Das ist auch alles Kirche - aber nur so lange diejenigen, die diese Struktur tragen und ausfüllen, von der bräutlichen Liebe überzeugt sind und auf den warten, der kommt und alle Sehnsucht erfüllt. Die Kirche ist nicht zuerst und vor allem Organisation, Institution und Struktur, sondern Sakrament, Zeichen und Werkzeug in Seinen Händen. Sie muss zuerst und vor allem empfangende Braut Christi sein!

Liebe Schwestern und Brüder, wir stehen wenige Tage vor dem Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel, dem größten aller Marienfeste, dem Osterfest des Sommers. Am Vorabend von Mariä Himmelfahrt, am 14. August 2016, hat Sr. Maria Gratia ihr Noviziat im Kloster Säben begonnen und am 14. August 2018 hat sie auf Säben ihre zeitliche Profess abgelegt. Sr. Maria Gratia schrieb mir am vergangenen 30. April diese Zeilen: „Mein Weg zu Jesus hat über Maria geführt. Ich kenne keinen besseren. Per Mariam ad Jesum: Durch sie wurde mir eine Christusliebe geschenkt, die ich ohne sie nie gefunden hätte… Sie ist die ganz Treue, die ihr Ja zum Willen Gottes nie zurückgenommen hat. Sie hat der Liebe zu Christus nichts vorgezogen. Deshalb habe ich als Bibelwort für mein Professbildchen auch den Beginn des Magnifikat gewählt: Meine Seele preist die Größe des Herrn. Eigentlich habe ich es gar nicht gewählt; es ist mir während der Schriftbetrachtung geschenkt worden.“

Deswegen wurde uns dieser wunderbare und vertraute biblische Text heute als Evangelium verkündet, der uns vom Besuch Marias bei ihrer Verwandten Elisabeth erzählt und der im Lobpreis des Magnifikat als Höhepunkt gipfelt. Es ist auch das Festtagsevangelium vom 15. August, dem Patroziniumsfest der Heimatpfarrkirche von Sr. Maria Gratia in Schenna in Südtirol.

Zwei Haltungen, die Maria besonders kennzeichnen, sollen in dieser festlichen Stunde Bitte an Gott sein und auch Auftrag für Sr. Maria Gratia, die sich heute für immer an die benediktinische Gemeinschaft hier auf dem Nonnberg bindet.

Die erste Haltung: Maria ist die Hörende. Treffend sagen von ihr mehrere altkirchliche Schriftsteller: „Noch bevor sie in ihrem Leibe empfing, empfing sie in ihrem Ohr.“ Maria ist „ganz Ohr“. Für den heiligen Benedikt beginnt alles mit dem Hören. Ausculta, höre: ist das erste Wort seiner Regel. Der Glaube kommt vom Hören, ist der Apostel Paulus in seinem Römerbrief überzeugt. Gutes Hören steht am Beginn jeder geistlichen Berufung und jeder gelebten Spiritualität. „Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden“ – mit diesen Worten umschreibt ein modernes Kanonlied diese zutiefst marianische Grundhaltung, mit der für Benedikt geistliches Leben beginnt.

Liebe Sr. Maria Gratia, ich wünsche Ihnen dieses Hören auf Gott, auf Ihre Äbtissin und Ihre Mitschwestern, auf die Gemeinschaft der Kirche, auf die Stimme Ihres Gewissens, aber auch auf die Fragen, Nöte, Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen, die den Nonnberg besuchen. Unsere laute Zeit mit ihren vielen Nachrichten, Stimmen, Botschaften und Werbungen braucht vor allem hörende, zuhörende, hineinhorchende, heraushorchende, geistliche Menschen!

Die zweite Haltung: Maria ist die Empfangende. Sie ist so sehr Ohr, dass sie das alles entscheidende Wort aufnehmen kann, das Gott selber in diese Welt hineingesagt hat, mehr noch, das Gott selber ist. Maria konnte empfangen, weil sie hörte und gehorchte. Der heilige Benedikt will mit seiner Regel eine geistliche Gemeinschaft formen unter dem Wort Gottes und aus der Kraft dieses empfangenen Wortes heraus: lectio, scrutatio, meditatio, oratio, contemplatio sind die bleibend gültigen Einladungen seiner Spiritualität. Das Wort Gottes lesen, ergründen, in dieses Wort eindringen, aus diesem Wort heraus beten, dieses Wort durchbeten, sich von diesem Wort ansprechen und beanspruchen lassen, dieses Wort empfangen, diesem Wort gehorchen, dieses Wort tun!

„Operi Dei nihil praefertur“ – dem Lob Gottes, dem Gottesdienst sei nichts vorzuziehen: Dieser Überzeugung der Regel des heiligen Benedikt weiß sich dieser Ort seit Jahrhunderten verpflichtet. Liebe Schwestern, das ist eure Berufung, euer stellvertretendes Sein – vor Gott und für die Menschen. Wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die das „quaerere Deum“, das „Gott-Suchen“ zu ihrem Lebensinhalt machen und die uns auch als Kirche eindringlich daran erinnern, dass das Sein vor dem Tun kommt, dass das Tun aus einem Sein herauswachsen muss.

Liebe Schwestern und Brüder, Sr. Maria Gratia hat mich als ihren Heimatbischof gebeten, dieser Feier vorzustehen. Dabei bewegt mich vor allem auch diese Fügung: Im Februar 1685 sind fünf Schwestern hier vom Nonnberg aufgebrochen, um eine Klostergründung in Säben in Südtirol zu beginnen. 550 Benediktinerinnen sollten ihnen im Lauf der Jahrhunderte folgen. Heute legt eine der drei letzten Schwestern von Säben, begleitet von ihrer ehemaligen Äbtissin Sr. Maria Ancilla Hohenegger ihre feierliche Profess ab in ihrer neuen Gemeinschaft hier auf dem Nonnberg. Menschlich und innerweltlich bewertet schließt sich ein Kreis. Ich vertraue darauf, dass der Herr der Geschichte und der Kirche dabei Regie führt. In diesem Vertrauen bitte ich in dieser Stunde auch für Säben, die Wiege unserer Diözese: Dass es Kontinuität in der Diskontinuität gibt und dass uns Säben erhalten bleibt als ein geistlicher Ort, getragen durch geistliche Menschen, die auf dem heiligen Berg Tirols leben und eine Hoffnung ausstrahlen. Wir brauchen mehr als nur das Funktionale, das Alltägliche, das Vordergründige und das Materielle. Wir brauchen mehr, weil wir Menschen mehr sind! Maria, die mit Leib und Seele hineingenommen ist in jene Wirklichkeit, die wir Ostern und Himmel nennen, ist uns geschenkt als Zeichen der Hoffnung und des Trostes auf dem Weg zum Ziel, für das wir alle geschaffen und gewollt sind.

Unter dem Schutz der Gottesmutter, des heiligen Benedikt und der heiligen Scholastika, der heiligen Erentrudis und der Salzburger Diözesanpatrone Rupert und Virgil bleibe dieses Kloster ein Ort von Gott – suchenden Menschen.

Liebe Schwestern vom Nonnberg, haltet für uns alle, für alle glaubenden, suchenden, fragenden, zweifelnden und ringenden Menschen, die diesen Ort betreten, die entscheidende Frage lebendig: Und wenn es Gott doch geben sollte?

Foto: Erzdiözese Salzburg (eds)/Michaela Greil