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Predigten

Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria 2020

Bischof Ivo Muser

Rorate im Brixner Dom, 8. Dezember 2020

Liebe Mitglieder der marianischen Frauen- und Männerkongregation, liebe Mitfeiernde über Radio Maria Südtirol, Radio Maria Österreich und über den Pfarrsender, liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

 

„Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“: So lautet der offizielle Titel des heutigen Festes. „Maria Empfängnis“ nennen wir es meistens; auf manchen Kalendern steht auch „Maria Erwählung“.

Es geht um Maria, die Mutter Jesu - aber nicht um ihren Geburtstag. Der wird am 8. September gefeiert. Am 8. Dezember, neun Monate vor ihrer Geburt, feiert die Kirche ihre Empfängnis. Es geht um den Tag, an dem ihre Eltern Joachim und Anna sie gezeugt und empfangen haben. Das ist ein origineller Zugang zum Geheimnis des Lebens: Mein Leben hat nicht erst bei meiner Geburt begonnen, sondern schon neun Monate davor, bei meiner Empfängnis. Mit jeder Empfängnis beginnt eine einmalige Geschichte, ein neues Leben. Schon im Augenblick der Empfängnis bin ich voll und ganz Mensch, von Gott ins Leben gerufen, den Eltern anvertraut, einmalig und wertvoll.

Warum feiert die Kirche dieses Hochfest?

Der Lebensbeginn, ihre Empfängnis, ist bei Maria ein Anfang mit einer einzigartigen Bedeutung für uns alle. Mit ihr beginnt etwas Neues. Sie wird die Mutter Jesu werden und ist wohl die berühmteste Mutter der Welt. Der 8. Dezember ist ein Fest der Dankbarkeit für Maria, die Frau voll der Gnade. Sie ist ohne Sünde, weil sie uns Jesus bringen wird. Seit ihrer Empfängnis ist sie untrennbar mit dem Heilsplan Gottes verbunden. Der 8. Dezember hat wesentlich mit Weihnachten zu tun: An diesem Festtag feiern wir den Lebensbeginn jener Frau, ohne die Weihnachten nicht stattgefunden hätte. Ein wunderbares Festgeheimnis! Für mich eines der liebsten und intimsten Feste im Kirchenjahr: Im Blick auf Maria, die uns das Leben in Person gebären wird, dürfen wir für uns selbst glauben: Wir sind nicht eine Laune oder ein Zufallsprodukt der Natur. Wir sind nicht einfach in diese Welt Geworfene und zu diesem Leben Verurteilte. Der Zug meines Lebens fährt nicht auf ein dunkles Nirgendwo zu; seit meiner Empfängnis im Schoß meiner Mutter bin ich geschaffen und gewollt für die Ewigkeit!

Welche Botschaft richtet dieser Festtag an uns?

Es ist, als ob Gott selber mit den Worten des Römerbriefes des hl. Paulus zu uns sagen möchte: „Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“. Gott will uns für diese Hoffnung gewinnen, indem er uns heute einen ganz konkreten Menschen zeigt. Im Licht Jesu, im Blick auf seine Menschwerdung und auf sein Erlösungshandeln in Tod und Auferstehung, soll an seiner Mutter deutlich werden, was Gnade bedeutet: Gnade ist kein geheimnisvolles Etwas im Menschen, sondern die persönliche, lebendige Gegenwart eines liebenden Gottes und die Verwandlung, die solche Nähe bewirkt.

Und Maria ist eine von uns. Sie soll nach dem Heilsplan Gottes keine Ausnahme bleiben. Gott zeigt uns vielmehr an ihr, was er mit uns allen vorhat. An Maria wird das Ja Gottes zum Menschen deutlich. Sie ist ein konkretes Zeichen, dass Gott und seine Gnade unserem Sein und erst recht all unserem Tun und unserer Leistung vorausgeht und zuvorkommt. An Maria, der Frau voll der Gnade, wird deutlich, wie groß Gott selber von uns Menschen denkt, wie ernst Gott uns nimmt und wie sehr er uns teilnehmen und mitwirken lässt an seinem Heilsplan. So wird das Fest ihrer Erwählung zu unserem Fest, zum Fest unserer eigenen Berufung, zum Fest unserer gläubigen Gewissheit, dass auch wir von Gott gewollt, berührt, berufen und begleitet sind.

Maria und wir alle stehen im Heilsplan Gottes

Karl Barth, ein großer calvinistischer Theologe, hat einmal gesagt: „Wenn ihr Katholiken, Maria in die erste Kirchenbank stellen würdet, mit dem Blick zum Altar und nicht immer auf den Altar mit dem Blick zu uns, dann könnte ich mich mit eurer Marienverehrung einverstanden erklären“. Für den heutigen Festtag und die Glaubensüberzeugung der Kirche gehören beide Blickrichtungen zusammen: Als eine von uns, als Teil der erlösungsbedürftigen Menschheit, steht, sitzt oder kniet Maria neben uns in der Kirchenbank und betet mit uns; als ersterlöster und vollerlöster Mensch schaut sie uns vom Altar, von Christus her, an und lädt uns ein, die faszinierende Herausforderung der Gottsuche und der Christusnachfolge anzunehmen; jene lebenslange Berufung, die vom Hören und vom Staunen begleitet ist und von der Bereitschaft – auch in aller Bruchstückhaftigkeit und Vorläufigkeit – die eigene Antwort darauf zu wagen.

Maria und die Kirche

Dieser Festtag wurde immer wieder gewählt, um im Blick auf Maria zu sagen, was die Kirche ist und was sie sein soll. Genau heute vor 151 Jahren, am 8. Dezember 1869, begann das Erste Vatikanische Konzil. Es war dann eine ganz bewusste Entscheidung, dass das II. Vatikanische Konzil genau heute vor 55 Jahren abgeschlossen wurde; Papst Franziskus wollte, dass das „Jahr der Barmherzigkeit“ am 8. Dezember 2015 beginnen sollte. Mir persönlich war es wichtig, dass unsere Diözesansynode, die wir zwischen 2013 und 2015 abgehalten haben, genau an diesem Festtag endete.

Für heute Nachmittag habe ich alle Gläubigen in unserer Diözese eingeladen zum gemeinsamen Gebet unter dem Leitwort: "Mit Maria innehalten vor dem Herrn": Von 14 bis 18 Uhr soll in unseren Kirchen das Allerheiligste zur stillen Anbetung ausgesetzt werden.

Innehalten, anbeten, hören, Antwort geben, vertrauen und den Auftrag Gottes annehmen - wie Maria, die Frau voll der Gnade, die Gottesmutter, die uns das Geschenk von Weihnachten bringen wird. Auch von zuhause aus kann man sich im Gebet vernetzen und das eigene Leben auf Christus ausrichten. Besonders empfehle ist das stellvertretende Gebet für andere.

So bitte ich alle, dass wir uns an diesem Festtag in einem großen diözesanen Gebetsnetz verbinden – so wie es einem jeden und einer jeden von uns möglich ist. Dieses Innehalten und Verweilen soll ein schlichtes, verbindendes, hoffnungsvolles Zeichen sein in einer schwierigen und herausfordernden Zeit. Betende Menschen sind Menschen der Hoffnung! Gerade in dieser Zeit, die für viele Menschen von Unsicherheit, Angst, Einsamkeit und Verlusten geprägt ist, braucht es Worte und Zeichen von Hoffnung und Nähe.

 

Beten wir oft mit den Worten Marias: „Mit mir geschehe, wie DU es gesagt hast“ (Lk 1,38). Auf DEIN Wort hin – in Freude und Hoffnung!