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Hirtenbriefe

"Im Kreuz ist Hoffnung"

Liebe Gläubige in unserer Diözese Bozen-Brixen! Ostern, das älteste, wichtigste und größte Fest des ganzen Kirchenjahres lenkt unsere Auf-merksamkeit auf das entscheidende christliche Symbol: auf das Kreuz; und dieses Zeichen ist für uns Christinnen und Christen durch kein anderes Zeichen zu ersetzen. "Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt" Im Kreuz verkünden wir einen Gott, der in Jesus die radikale Entscheidung für den Menschen auch dann noch durchhält, wo ihm die Menschen nur mehr das "Kreuzige ihn!" entgegen¬bringen. Das Kreuz ist Zeichen jener Solidarität Gottes, die sich auch durch Widerspruch, Ablehnung und Gewalt nicht abbringen lässt und die in radikaler Feindesliebe sogar für die Täter eintritt. Im Kreuz verkünden wir die christliche Antwort auf die dunkelsten und existen¬ziellsten Fragen des Menschen: nämlich auf die Fragen nach dem Sinn des Leidens, vor allem auch des un-verschuldeten Leidens, und die Frage nach dem Tod. In Jesus von Nazaret lässt Gott sich auf die ganze Not menschlichen Leidens und Sterbens ein. Das Geheimnis der Menschwerdung und des Kreuzes ist keine billige und harmonisierende Antwort auf die Frage nach dem Leid. Es ist eine anspruchsvolle Antwort, die den Menschen aber erlöst vom unbarmherzigen Druck, alles verstehen und erklären und sich am Ende selber erlösen zu müssen. Der Blick auf das Kreuz bewahrt uns vor dem Druck, glücklich sein, siegen, sich durchsetzen und ankommen zu müssen nach unseren oft fragwürdigen, zeitbedingten und nicht selten unmenschlichen Maßstäben. Das Kreuz ist immer auch der christliche Protest gegen die wachsende Unempfindlichkeit gegen¬über allen Nicht-Siegern in unserer Gesellschaft und gegen die Verdrängung und Tabuisierung von Leiden und Tod. Das Kreuz will uns vor allem sagen: Der Gekreuzigte lebt! Wir glauben an einen Gott, der am Kreuz Jesu - und durch dieses Kreuz hindurch - gezeigt hat, dass er auch dort noch nicht am Ende ist, wo wir Menschen am Ende sind. Das Kreuz will uns in der Hoffnung bestärken, dass seit Jesu Tod und Ostersieg die Sünde, die Gewalt, der Hass, die Tränen, der Tod und das Grab nicht mehr das letzte Wort sind und haben. Das letzte Wort hat Gott! Deswegen ist Ostern die Initialzündung des christlichen Glaubens. Wir müssen aber ehrlich zugeben: Im Laufe der Geschichte wurde im Zeichen des Kreuzes auch Unrecht begangen; im Zeichen des Kreuzes haben Menschen getötet und ihre Macht¬ansprüche gerechtfertigt. Jesus selber, der kein Schwert besaß, der ein Opfer der Gewalt geworden ist und der sterbend für seine Verfolger gebetet hat, hält uns immer auch einen unbequemen Spiegel vor Augen. Wir sind immer die ersten, die sich bekehren müssen - in unserem Denken, Reden und Tun! Die Botschaft vom Kreuz ist keine Kampfansage, sondern Begegnung mit jener göttlichen Liebe, die bis zum Äußersten geht, um uns Menschen für das Leben zu gewinnen. Unser Glaube und der Respekt gegenüber anderen Religionen In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, nicht zu verschweigen und nicht zu verdrängen, dass es in einigen Regionen der Welt nicht möglich ist, den eigenen Glauben frei zu bekennen und zum Ausdruck zu bringen, ohne das Leben und die persönliche Freiheit aufs Spiel zu setzen. In anderen Gebieten - und dazu gehört heute auch Europa - existieren lautlose und raffinierte Formen von Vorurteil und Widerstand gegen die Gläubigen und gegen religiöse Symbole. Die Christen sind heute weltweit jene Religionsgemeinschaft, welche die meisten Verfolgungen aufgrund ihres Glaubens erleidet. Viele erfahren tagtäglich Beleidigungen und leben in Angst wegen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus und wegen ihres offenen Aufrufs zur Anerkennung der Religionsfreiheit. Alle Menschen haben das Recht, die eigene Religion und den eigenen Glauben als Einzelne und in Gemeinschaft zu bekennen und auszudrücken, sowohl öffentlich als auch privat, in Brauchtum, Festen und Gebeten, in Veröffentlichungen, im Kult. Wir respektieren auch jene, die von sich selber sagen, dass sie keiner Religionsgemeinschaft angehören und dass sie nicht an Gott glauben können oder wollen. Als Christinnen und Christen stehen wir für die Überzeugung: Unsere Welt braucht Gott. Eine Welt ohne Gott wendet sich letztlich gegen den Menschen. Unsere Gesellschaft braucht ver-bindende und verbindliche, ethische und geistliche Werte. Und die Religion kann bei dieser Suche einen wertvollen Beitrag für den Aufbau einer gerechten und friedlichen sozialen Ordnung auf persönlicher, familiärer, nationaler und internationaler Ebene leisten. Religions¬freiheit meint nicht zuerst "Freiheit von Religion", sondern die Freiheit jedes Menschen, die eigene Religion zu haben und auszuüben, im Respekt vor den religiösen Überzeugungen der anderen. Ostern, das Fest unseres Glaubens Mein Osterwunsch ist es, dass wir eine echte christliche Identität haben, dass wir die großen Hoffnungserzählungen der Heiligen Schrift, das Glaubensbekenntnis, die Grundgebete, die Sakramente, die christlichen Symbole und Traditionen, unsere Feste und unser christliches Gottes-, Menschen- und Weltbild wieder neu entdecken, pflegen, hochhalten und verteidigen.Nur wer eine Identität im eigenen Glauben hat, wird fähig zum Dialog, zur Unterscheidung, zur Auseinandersetzung und zur Wertschätzung der religiösen Überzeugungen anderer. Nur wer die eigene Religion kennt und liebt, wird keine Ängste haben oder gar schüren gegenüber Menschen anderer Religionen. Wem die eigene Religion heilig ist, wird auch nie geringschätzig, polemisch, sarkastisch oder arrogant mit dem umgehen, was anderen Menschen heilig ist. Nicht alles kann mit persönlichen Freiheitsrechten, mit Meinungs- und Pressefreiheit, die ein hohes Gut sind, gerechtfertigt werden. Fragen wir uns an diesem Osterfest ganz ehrlich: Was bedeutet mir mein Glaube? Was weiß ich über ihn? Was darf er mir kosten? Stehe ich zu meinem Glauben, auch in der Öffentlichkeit? Wie zeigt er sich in meiner Lebensgestaltung, in meiner Lebensführung? Was tue ich, damit mein Glaube lebendig bleibt? Bin ich stolz auf meinen Glauben oder verschweige ich ihn vor den anderen? Sorge bereiten mir nicht die Überzeugung und der Glaube der anderen, sondern die mangelnde Identität, die Gleichgültigkeit, Oberflächlichkeit und Unwissenheit in unseren eigenen Reihen. Zum Fest über allen Festen wünsche ich uns allen die österliche Entdeckung, wie schön, aktuell und konkurrenzlos das Bekenntnis zu Jesus Christus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, ist und welche Kraft, Hoffnung und Orientierung dieser Osterglaube uns schenken kann - im Gehen unseres Weges, im Leben und im Sterben, und über diese Welt hinaus. Mit der ehrlichen Bitte um euer Gebet für den Weg unserer Ortskirche, die auch durch die Synode um eine überzeugte christliche Identität ringt, segne ich euch alle im Zeichen des heiligen Kreuzes. EuerBischof Ivo Muser