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Predigten

Karfreitag 2023

Bischof Ivo Muser

Karfreitag, 7. April 2023

Bozen, Dom

„Wie könnt ihr Christen immer noch Kreuze aufhängen!“, sagte vor einigen Jahren jemand zu mir. „Ausgerechnet so ein Symbol“. Folterwerkzeug der Römer. Symbol für Schmerzen und einen qualvollen Tod. „Habt ihr wirklich kein besseres Zeichen für euren Glauben?“

Aber auch eine andere Aussage begleitet mich seit meiner Zeit als Kooperator in Toblach. Da sagte eine Frau zu mir, die schon seit Jahren ans Bett gefesselt war: „Ich habe lange gebraucht, bis ich eines verstanden habe: Jesus hat das Kreuz nicht erklärt, er hat es getragen; und weil er die Wunden seines Kreuzes trägt, kann ich mich mit meinen wunden bei ihm festhalten.“

Das Kreuz – ein Skandal, ein Ärgernis, eine Schande, eine Kraft, ein Halt, ein letzter Sinn. Von Anfang an. Schon der Apostel Paulus sagt es klipp und klar: „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit; für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,22-23).

Der Gott, der sich in Jesus von Nazareth gezeigt hat, ist wirklich ganz anders. Seine Weisheit ist nicht von dieser Welt. Sie entzieht sich unseren Vorstellungen und unserem Verstand, unserer Vernunft und unseren Theorien. Gott, nicht erhaben und schön. Kein Lichtwesen, entrückt von aller Erdenschwere.

Gott ist Mensch geworden. In einem Stall geboren. Ein Leben ohne Sicherheit und ohne Komfort, auch später. Aber voller Liebe zu dem, was klein ist und bedürftig. Er stellt die Denkmuster der Welt auf den Kopf. Er zieht als König auf einem Esel nach Jerusalem, er schlägt nicht zurück, er beweist nicht seine Macht, indem er es denen heimzahlt, die ihm Böses wollen.

Gott ist Mensch geworden und ist in Jesus den ganzen Weg gegangen. Er lässt sich töten am Kreuz. Das ist jenseits aller Vernunft. Zumindest jenseits der Vernunft der Welt. Da geht es nicht um Recht haben, da geht es nicht um Sich-Durchsetzen und nicht ums Gewinnen. Da geht es nur um eins. Um die Liebe, die aufs Ganze geht. Und die Schwachheit und Tod und alles Böse überwindet, indem sie es in sich aufnimmt.

Das ist die erschütternde Wahrheit des Karfreitags: Gott schaute nicht vom Himmel herab auf das Leben und den Tod Jesu, um ihn grausam leiden zu lassen. Gott schaute nicht herab aufs Kreuz, Gott hing am Kreuz. Gott hat sich tief in unseren Schmerz, unseren Verlust, und unseren Tod hineinbegeben. Und er nahm all das in sich selbst auf, damit wir erkennen können, wer Gott wirklich ist. Gott ist nicht fern am Kreuz. Und er ist nicht fern der Trauer, nicht fern im Krankenhaus, nicht fern in der Ukraine und überall dort, wo Menschen leiden. Sondern Gott ist mittendrin. Es gibt keine für uns begreifliche Antwort auf die Frage, warum es Leid gibt. Wir wollen Antworten von Gott, aber statt der Antwort bekommen wir im Kreuz Jesu Gottes Gegenwart.

Karfreitag: Wir stehen vor dem Kreuz. Wir stellen uns den Fragen, die es aufwirft. Wir stellen dem Gekreuzigten unsere Fragen. Das Kreuz führt unsere Weisheit an die Grenze. Karfreitag, Freitag der Trauer, wörtlich übersetzt. Im Italienischen heißt dieser Tag der Erlösung „Venerdì Santo“. Also der heilige Tag unserer Erlösung. Im Englischen heißt der Tag „Good Friday“. Guter Freitag. Weil von Ostern her alles in einem anderen Licht erscheint. Das Kreuz wird zu einem Hoffnungszeichen. Der Tod wird überwunden, das Böse besiegt. Der Gekreuzigte ist nicht der Gescheiterte, sondern der, der mitträgt, auch Leid und Tod – vor allem Leid und Tod. Und er reißt die, die an ihn glauben, heraus aus den Todesmächten hinein ins Leben.

Karfreitag: Ich will mich fest halten an ihm. An Jesus, dem Gekreuzigten. Ich will fest halten an der Hoffnung, dass er da ist. Auch jetzt. Und dass er alles heil machen wird. Die Liebe ist stärker als alles. Nichts kann uns von dieser Liebe trennen. Ich bete oft mit diesen schlichten, alten Worten, die alles zusammenfassen, was ich glaube und hoffe: „Jesus dir leb ich; Jesus dir sterb ich; Jesus dein bin ich – im Leben und im Tod“.