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Predigten

Karfreitag 2025

Bischof Ivo Muser

Karfreitag, 18. April 2025

Bozner Dom

Wie jedes Jahr haben wir an diesem heiligen, einprägsamen Tag wieder die Leidensgeschichte des Johannes gehört. Nur auf eine Szene lenke ich jetzt unsere Aufmerksamkeit: Petrus verleugnet seinen Herrn. Nicht nur einmal, sondern dreimal behauptet er, Jesus überhaupt nicht zu kennen. 

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass die Verleugnung des Petrus Jesus mehr wehgetan hat als der Verrat des Judas. Petrus, der in der Aufzählung der Apostel immer als der Erste genannt wird, der in den Evangelien großartige Bekenntnisse ablegt, den wir den Fels der Kirche nennen, zeigt sich wieder einmal als derjenige, der er von sich aus ist: ein sinkender, angsterfüllter Petrus, ein Fähnchen im Wind, ein „Skandalon“, ein Stolperstein auf dem Weg. Er sinkt so tief, dass er nicht einmal mehr zugeben kann, Jesus zu kennen. Alles, was er in den letzten drei Jahren mit Jesus erlebt hat, was er von ihm gelernt, verstanden und erhofft hat, alles, was ihm Jesus bedeutet, verrät und verleugnet er in dieser dunklen Stunde seiner Lebens- und Berufungsgeschichte. 

Mich bewegen in der Karwoche jedes Jahr vor allem zwei Gestalten der Passionserzählungen: Judas und Petrus. Beide verraten ihre Berufung. Beide laden schwere Schuld auf sich. Judas nimmt den Strick und bringt sich um, Petrus weint. Und diese Tränen retten ihm das Leben und seine Berufung.

Der heilige Ignatius von Loyola, der große Lehrmeister der geistlichen Übungen, spricht öfters von der Bitte um die „Gabe der Tränen“. Mit dieser Gabe ist keine Weinerlichkeit gemeint, kein Selbstmitleid. Es geht auch nicht um eine theatralische Zurschaustellung von Gefühlen. Es geht um die Gabe und die Bereitschaft, sich innerlich berühren zu lassen, nicht abzustumpfen, sich nicht hart und unangreifbar zu machen.

Bewegt uns das, was anderen geschieht, was Menschen erleiden und durchzustehen haben? Kommen uns manchmal die Tränen, wenn wir die Nachrichten sehen oder hören? Tränen über das Leid von Menschen, aber auch Tränen der Rührung über eine gelungene Rettung, über politische Durchbrüche, über Schritte zum Frieden? Machen uns solche Nachrichten und Bilder sensibler, hörender, sehender, solidarischer? Prallen Nachrichten über das Leid anderer Menschen bei mir einfach ab, weil ich nur mit mir selber beschäftigt bin? Kann ich mit-leiden, aber auch mich mit-freuen? Bin ich betroffen, wenn Unrecht geschieht – bei uns und anderswo? Schaue ich hin oder schaue ich einfach weg? Bin ich imstande, Menschen in Not in die Augen zu schauen? Bin ich imstande, zu trösten? Bin ich imstande, Menschen nahe zu sein, mit ihnen unter ihrem Kreuz auszuhalten? Neige ich zu schnellen, oberflächlichen und bequemen Urteilen über andere? Lasse ich mich treffen oder lässt mich das Schicksal anderer kalt?

Papst Franziskus spricht immer wieder von der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Wenn wir dieser  Globalisierung im Denken, im Reden und schließlich im Tun freien Lauf lassen, dann wird uns das die Menschlichkeit rauben. 

Jesus war alles andere als gleichgültig! Er ließ sich treffen von den Fragen, Nöten, Verwundungen der Menschen. Er ließ sich treffen vom Schmutz und vom Unheil menschlicher Sünde. Höhepunkt seines Lebens für die anderen ist sein Kreuz. Weiter konnte selbst er nicht mehr gehen, um uns zeigen, dass wir ihm nicht gleichgültig sind! Verstehen wir, warum gerade das Kreuz zum Zeichen für ihn geworden ist und warum das Kreuz durch kein anderes christliches Zeichen ersetzt werden kann?

Schauen wir auf Jesus, den Gekreuzigten! Lassen wir uns persönlich treffen vom Blick seiner Barmherzigkeit. Bitten wir ihn an diesem heiligen Tag um die Gabe der Tränen.