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Predigten

Palmsonntag 2021

Bischof Ivo Muser

Palmsonntag, 28. März 2021 – Brixner Dom

Der Palmsonntag ist ein besonders spannungsgeladener Tag. Zwei Rufe prägen diesen Tag: „Hosanna“ und „Kreuzige ihn“.

Beide Rufe gelten Jesus: heute das begeisterte Hosanna, mit dem er einzieht in die Heilige Stadt seines jüdischen Volkes, und wenige Tage später das „Kreuzige ihn“, mit dem er abgelehnt, verurteilt und getötet wird. Zu beiden Rufen sind Menschen fähig: damals und heute. Beide Rufe können sogar aus demselben Herzen und aus demselben Mund herauskommen. Der Palmsonntag mit seiner spannungsgeladenen Liturgie sagt uns: Entscheide dich – für ihn und für seinen Weg! Folge ihm auf seinem Weg! Sei nicht nur sein Fan, habe Mut, dich einzulassen auf ihn!

Mit diesem ersten Tag dieser wichtigsten Woche des Kirchenjahres verbinden wir ein starkes, biblisches Bild: Jesus zieht auf einem Esel in die Heilige Stadt Jerusalem ein. Er kommt auf einem Esel, der nicht einmal ihm gehört. Seine jüdischen Zeitgenossen verstehen, was damit gemeint ist. Es geht um eine alte, prophetische Verheißung: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen“ (Sach 9,9-10).

Der König auf dem Esel wird sich nicht in den Streit der Weltmächte mischen und nicht selber Macht spielen wollen. Er kommt auf einem Esel, dem Reittier der Könige Israels, dem messianischen Symbol des Friedens, aber auch dem militärisch wertlosen Lasttier der Menschen. Es ist der Esel, den wir schon von Weihnachten her kennen, den der heilige Franz von Assisi in die Krippe des neugeborenen Kindes von Betlehem gestellt hat. Betroffen sagt der Prophet Jesaja: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht“ (Jes 1,3).

Der Einzug auf dem Esel, und einem geliehenen Esel noch dazu, ist Symbol der irdischen Machtlosigkeit, aber zugleich auch Symbol des Vertrauens auf die Macht Gottes. Jesus steht nicht für irdische Gewalt, sondern für Gott und für die Macht seiner Liebe! Sein Königtum bleibt zerbrechlich in dieser Welt. Aber allein von ihm her wird diese Welt lebenswert, menschlich – nicht nur für einige Wenige, sondern für alle. Nicht die Gewalttätigen, die Radikalen, die Hardliner, die Angstmacher, die Scharfmacher, die Arroganten und die Revolutionäre machen unsere Welt menschlich – auch nicht die wohlmeinenden unter ihnen. Sie hinterlassen immer Scherben, Blut und sehr oft auch Leichen. Dafür steht in der Leidensgeschichte der gewalttätige Barabbas. Und es macht sehr nachdenklich, dass „Barabbas“ wörtlich „Sohn des Vaters“ heißt. Jesus, der in einem ganz anderen Sinn „der Sohn des Vaters“ ist, will uns für seine Alternative gewinnen: Er steht für die Gewaltlosigkeit, die Güte, die Wahrhaftigkeit, die Treue, die Hingabe und für die Gewissheit, dass Gott selbst dies alles ist. Ein starkes Bild dafür ist der Mann auf dem geliehenen Esel, der wahre König, die wahre und letzte Macht der Welt. Für wen entscheiden wir uns in unserem Denken, Reden und Tun: für Barabbas oder für Jesus?

„Hosanna – Kreuzige ihn“: Mit dieser Spannung feiern wir den Palmsonntag. Diese Spannung prägt diese besondere Woche: über das Kreuz zur Auferstehung, über Verrat, Ablehnung, Grausamkeit, Tod und Grab hin zum Ostermorgen. Das Hosanna ist nur dann in seinem Sinn, wenn wir uns damit bekennen zum ganz anderen Sohn und König, zum Sohn und zum König auf dem Kreuz.