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Predigten

Priesterweihe von P. Markus Mur OT

Bischof Ivo Muser

Lana, 29. Juni 2021, Hochfest Peter und Paul

Ohne Zweifel: Der Evangeliumstext, der heute, am Hochfest der Apostel Petrus und Paulus, in allen katholischen Kirchen der Welt verkündet wird, gehört zu den bekanntesten biblischen Texten überhaupt; er ist ein Stück Weltliteratur; ein Text, der Geschichte geschrieben hat. Hier geht es um den Ursprung des Glaubensbekenntnisses der Kirche.

„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Das ist das Gut der Kirche, ihre Existenzberechtigung! Wenn die Kirche uns nicht dieses Bekenntnis gibt, dann brauchen wir sie nicht. Nur wenn sie uns mehr gibt als Menschenmeinung, gibt sie uns das, was niemand sonst uns geben kann: den festen Grund und den rechten Weg zum Leben.

Die Kirche ist kein Selbstbedienungsladen, in dem sich jeder heraussucht, was ihm gefällt und was er für heute noch passend und für sein Leben verdaulich ansieht. Bei einem Christentum, das wir uns zurechtmachen würden, geht das Wesentliche verloren. Auf Meinungen, die uns „Fleisch und Blut offenbaren“ (Mt 16,17), kann man das eigene Leben nicht bauen. Meinungen sind unbeständig und tragen nicht, vor allem nicht im Tod. Bauen können wir nicht auf dem Sand menschlicher Meinungen, sondern nur auf dem Felsengrund, den Gott selber gelegt hat: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“.

Auf das Christusbekenntnis des Petrus folgt das Petrusbekenntnis Jesu: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Doch in welcher Weise ist Petrus der Fels? Die Erzählung des Evangelisten Matthäus sagt uns mit großer Klarheit, dass die Erkenntnis der Identität Jesu, die Petrus im Namen der Zwölf kundgetan hat, nicht aus „Fleisch und Blut“, das heißt aus seinen menschlichen Fähigkeiten hervorgegangen ist, sondern auf einer besonderen Offenbarung Gottes beruht. Unmittelbar danach, jedoch, als Jesus sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung ankündigt, reagiert Simon Petrus genau nach dem Impuls von „Fleisch und Blut“: Er „machte ihm Vorwürfe … Das darf nicht mit dir geschehen!“ (Mt 16,22). Und Jesus herrscht ihn an: „Hinter mir her, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,23). Schärfer kann man es nicht zum Ausdruck bringen: Petrus, der Fels der Kirche, wird zum Satan, zum Gegenspieler Gottes! Der Jünger, der durch die Gabe Gottes ein starker Fels werden kann, zeigt sich auch als das, was er in seiner menschlichen Schwachheit ist: ein Stein auf der Straße, ein Stein, an dem man anstoßen und zu Fall kommen kann – ein „skandalon“.

Keine andere neutestamentliche Gestalt wird uns nach und neben Jesus so ausführlich, so lebendig, so einprägsam, so menschlich erzählt und vorgestellt wie Petrus. In dieser faszinierenden Gestalt begegnet uns der ganze Realismus des Evangeliums: Hier der Fels, dort der Stolperstein auf dem Weg! „Fels“ und „Satan“, Höhe und Tiefe, Berufung und Abfall, Begeisterung und Verrat stehen dicht nebeneinander. Petrus muss lernen: Er kann Jesus nur dann als den Christus bekennen, wenn er bereit ist, ihm auf seinem Weg zu folgen: hinauf nach Golgotha, über das Kreuz zur Auferstehung.

Lieber P. Markus, du wirst jetzt gleich hier auf dem Boden liegen. Das geht unter die Haut. Da wird die Liturgie sehr direkt. Alle verstehen, was es bedeutet: Nicht hoch hinaus, sondern unten am Boden. Das ist die Platzanweisung, mit der das Weihesakrament verbunden ist.

Was in der Lebens- und Berufungsgeschichte des Petrus deutlich wird, drückt Paulus auf dem Hintergrund seiner Berufungs- und Glaubenserfahrung einmal so aus: „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). Wir sind „zerbrechliche Gefäße“, sagt der Apostel, der vor den Toren von Damaskus zuerst vom Pferd fallen musste, damit ihm das Licht aufging.

„Zerbrechliche Gefäße“, damit niemand auf den Gedanken kommt, wir seien diejenigen, von denen das Heil zu erwarten ist; wir würden die Sache schon machen; wir würden alles im Griff haben, am Ende Gott selbst. Nein, Petrus und Paulus, die Apostelfürsten, die Säulen des christlichen Anfangs, sagen uns ungeschminkt und einprägsam: Wir sind und bleiben „zerbrechliche Gefäße“! Aber bei aller Zerbrechlichkeit – am Boden – Träger eines Schatzes, des Schatzes: Jesus, der Christus. Um ihn geht´s. Er muss durchkommen.

Lieber P. Markus, du musst nicht alles machen, alles können, alles leisten, auf alles eine Antwort wissen. Du musst nicht hart, fest und undurchlässig sein wie ein Panzer. Der Schatz muss durchkommen! Die Menschen, denen du als Priester begegnen wirst in der Verkündigung, im Beichtstuhl, bei einem Taufgespräch, bei der Feier der Eucharistie, in der Begleitung von Menschen, die schwer zu tragen haben an der Last des Lebens, sie sollen merken: Du bist Träger eines Schatzes, der größer ist als du selber. Das wird nur dann gelingen, wenn dieser Schatz dein Schatz ist, der Schatz deines Herzens, deines Lebens.

„Bist du bereit, dich Tag für Tag enger mit Christus zu verbinden?“ Diese Frage werde ich dir bald stellen. Es ist die letzte von sechs Fragen. In jeder Frage geht es um Wichtiges. Diese letzte Frage trifft den Kern. Alles, was vorher versprochen wurde, verleiht dem ganzen priesterlichen Tun das Fundament. Auf diese Frage wirst du im Wissen um die eigene Zerbrechlichkeit antworten: „Mit Gottes Hilfe, bin ich bereit.“

Lieber P. Markus, wer Jesus finden will, muss sich auf seinen Weg einlassen: Hinter ihm her, in seinen Fußspuren, in der täglichen Verbindung mit ihm. Wenn du dich gleich auf den Boden legst, dann soll das ein sprechendes Zeichen dafür sein, dass du mit ihm in die Tiefe gehst und auch zu denen, die am Boden liegen, niedergeschlagen durch was und wen auch immer. „Helfen – heilen – wehren“ – diese Leitworte für den Deutschen Orden haben uns in dieser Stunde viel zu sagen. Priesterlicher Dienst stellt sich helfend, heilend und auch schützend in den Dienst der Menschen. Auf der Seite Jesu, des Gekreuzigten, stehen nur diejenigen, die auf der Seite des Menschen stehen. Dieser Weg in die Tiefe ist der Tiefgang des Glaubens!

In die Knie gehen, sich auf den Boden werfen – kann das der Ausdruck des Lebens sein? Gibt man sich dabei nicht auf? Verliert man da nicht sein Rückgrat? – Nur wer ein Rückgrat hat, kann sich so tief bücken! Und nur so wird er glaubhaft den bezeugen, der sich wie kein anderer in den Staub der Erde gebeugt hat. Sein Weg endet nicht im Tod! Wie er auferstanden ist, so werden auch wir auferstehen, uns mit ihm vom Boden erheben dürfen. Dafür steht Petrus mit seinem Bekenntnis: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“. Dafür steht Paulus mit seiner Christusleidenschaft: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,11).

Lieber P. Markus, auf deinem Weg als Christ und Ordensmann und in deinem priesterlichen Dienst wirst du auch Menschen begegnen, die den Kopf schütteln – so wie damals, wo alles begonnen hat, in Kapharnaum, rund um den See Genezareth. Ganz lapidar heißt es im Johannesevangelium: „Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm…“ (Joh 6,66). Jesus sucht sie nicht mit allen Tricks und Klimmzügen zu halten. Er fragt ganz einfach: „Wollt auch ihr weggehen?“ (Joh, 6,67).

Die Frage und die Antwort des Petrus, lieber P. Markus, sollen dich nie mehr loslassen: „Wohin sollen wir gehen?“ Wo sind Alternativen, die dem Gewicht der Frage, die hier zur Entscheidung steht, gerecht werden? „Du hast Worte des ewigen Lebens…“ (Joh 6,68). DU! ER ist der Schatz. ER in Person. Du kannst nichts Besseres tun, als zu bleiben und ihn in deinen zerbrechlichen Gefäßen zu den Menschen zu bringen.

Und vergiss es nie: Du bist nicht allein. Viele Menschen stehen hinter dir, begleiten dich und beten für dich. Deine Ordensgemeinschaft steht hinter dir. Du übst dein Priestertum immer in Verbindung mit dem Bischof, dem Presbyterium und dem ganzen Volk Gottes aus. Maria, die Mutter Jesu und die Mutter der Kirche, steht dir zur Seite. Alle Heiligen, die wir jetzt anrufen, bitten für dich. Die Apostelfürsten Petrus und Paulus, an deren Festtag du die Weihe empfängst, sollen dir auf deinem priesterlichen Weg Mutmacher, Vorbilder und Fürsprecher bleiben.