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Orden

„Wir verlassen ein Paradies“

Ende November haben die Benediktinerinnen Abschied von Kloster Säben genommen.

von Martina Rainer (Text erschienen im Katholischen Sonntagsblatt vom 14. November 2021, S. 3-5)

Im Gastgarten von Kloster Säben ist man von einer besonderen Stille und Ruhe umfangen. Diese Ruhe strahlt auch Äbtissin Sr. Maria Ancilla Hohenegger aus – obwohl sich ihre Zeit auf Säben dem Ende zuneigt und sie mit der einzig verbliebenen Mitschwester nach St. Pauls übersiedeln wird. Damit geht auf dem Säbener Felsenhügel nach 335 Jahren eine Ära zu Ende.

Die vergangenen Monate waren für Sr. Maria Ancilla Hohenegger eine Achterbahn der Gefühle. Im Mai war öffentlich geworden, dass die Benediktinerinnen Kloster Säben endgültig verlassen. Seit 335 Jahren hat die Ordensgemeinschaft auf dem Heiligen Berg Tirols, wie Säben gemeinhin auch genannt wird, gewirkt. Vor 100 Jahren lebten noch 80 Klausurschwestern auf dem Felsenhügel, vor 41 Jahren, als Sr. Maria Ancilla eingetreten ist, immerhin noch 30.

Keine Ordenseintritte mehr

Fehlender Nachwuchs und die altersbedingten Todesfälle haben die Zahl der Ordensfrauen zunehmend reduziert. Letzthin befanden sich neben der Äbtissin nur mehr zwei Mitschwestern im Kloster, eine davon ist im Mai ins Stift Nonnberg bei Salzburg übersiedelt. „Nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus personellen Gründen müssen wir das Kloster aufgeben“, präzisiert Sr. Maria Ancilla.

Auf dem rund 30-minütigen Weg zum Kloster, der unter anderem an den hohen Klostermauern vorbeiführt und einen wunderbaren Ausblick auf das umliegende Eisacktal gewährt, kann man die Weitläufigkeit des riesigen Klosterareals nur erahnen. „Es war nie meine Absicht aufzugeben. Aber zu zweit können wir das Ganze nicht erhalten“, sagt Sr. Maria Ancilla. Sie ist von der Notwendigkeit der Entscheidung zwar überzeugt, in ihrem Herzen wiegt diese aber schwer. Ende November wird die Übersiedlung erfolgen. Für den Umzug gilt es, noch einiges zu bewältigen, seit Allerheiligen empfängt sie deshalb keine Besuche mehr. Gemeinsam mit ihrer Mitschwester zieht Sr. Maria Ancilla ins Zisterzienserinnenkloster Mariengarten nach St. Pauls. Sie werden auch weiterhin Benediktinerinnen von Säben bleiben und den Status von „Gastschwestern in der Klausur“ erhalten. „Ich bin den Schwestern sehr dankbar, dass sie uns bereitwillig zu sich eingeladen haben“, sagt Sr. Maria Ancilla. Für ihre Mitschwester bleibt sie Äbtissin. In drei Jahren, wenn sie das 70. Lebensjahr erreicht, endet der Dienst – wie von der Benediktinerkongregation vorgesehen – automatisch.

Ein halbes Leben auf Säben

25 Jahre alt war die aus Langtaufers stammende Vinschgerin, als sie 1980 die Entscheidung fällte, Teil der Ordensgemeinschaft von Säben zu werden. Warum ihre Wahl genau auf Säben gefallen ist, „ist ein Geheimnis Gottes“, sagt sie lächelnd. Mit 24 Jahren habe sie die Liebe zu Jesus entdeckt und sich deshalb auf die Suche nach einer für sie geeigneten Ordensgemeinschaft gemacht. Die Suche hatte ein Ende, als sie ein Wochenende im Gästehaus von Säben verbrachte. Damals wurde ihr klar, dass sie bleiben wollte. Bei ihrem Eintritt herrschte mit 30 Schwestern noch ein sehr lebendiges Gemeinschaftsleben. Die ersten fünf Jahre als Novizin verbrachte sie in einem eigenen Bereich – getrennt vom Konvent. Bis zu fünf Novizinnen gab es damals, der Klostergemeinschaft erhalten geblieben ist aber nur Sr. Maria Ancilla.

Damals wie heute ist der Tagesablauf im Kloster strikt geregelt – Gebet und Arbeit wechseln sich zu klar festgelegten Zeiten ab: Aufstehen um 5 Uhr, Morgenlob um 6.30 Uhr, Messe um 7.30 Uhr, eine halbstündige persönliche Lektionszeit nach dem Frühstück, dann Arbeitszeit, Mittagsgebet um 11.30 Uhr, anschließend Mittagessen. Nach einer kurzen Pause beginnt von 14 Uhr bis 17.15 Uhr wieder die Arbeitszeit, um 17.30 Uhr steht die Vesper an, das Abendessen ist für 18 Uhr angesetzt. Nach der anschließenden Rekreationszeit, in der sich die Schwestern austauschen und Handarbeiten verrichten, folgt die Komplet. Danach ist Stille im Haus.

Schweigen zur inneren Sammlung

An diesem Tagesablauf hat sich in den vergangenen Jahrhunderten nichts geändert – „nur die Gemeinschaft ist kleiner geworden“, sagt Sr. Maria Ancilla. Nach wie vor üben sich die Ordensfrauen tagsüber in Schweigen, gesprochen wird nur das Notwendigste. Damit soll, wie die Äbtissin erklärt, die innere Sammlung gewahrt bleiben. Lediglich während der abendlichen Rekreationszeit können sich die Schwestern nach Belieben austauschen.

Die Klausurvorschriften sehen auch vor, dass das Kloster nur in den seltensten Fällen verlassen werden darf – um der Wahlpflicht nachzukommen oder für einen Arztbesuch beispielsweise – „aber das war auch nicht unsere Sehnsucht“, betont Sr. Maria Ancilla. Im zwei Hektar großen Klausurgarten sowie im Wirtschaftsgarten, wo die Schwestern früher auch bei der Ernte eingesetzt waren, „hatten wir genügend frische Luft“, sagt sie lachend.

Seit jeher hat das Kloster für Klausen und darüber hinaus eine wichtige Rolle gespielt. Zu früheren Zeiten gab es dort die einzige Gärtnerei rundum und es verfügte auch über eine Klosterapotheke. Bekannt war die Abtei auch für ihre Paramentenstickereien, deren Verkauf eine bedeutende Einnahmequelle darstellten. „Damals gab es noch viele und auch viele junge Ordensschwestern, die von Hand wunderschöne Kostbarkeiten geschaffen haben“, erzählt Sr. Maria Ancilla.

Um Ende des 18. Jahrhunderts der Aufhebung des Klosters im Zuge der Reformen des Habsburgermonarchen Joseph II. entgegenzusteuern, wurde ein neuer Trakt gebaut, in dem eine Haushaltungsschule untergebracht wurde. „Im Sinne der Aufklärung wurde die Frage des Nutzens für die Allgemeinheit gestellt. Nur Klöster, die in der Krankenpflege, im Unterricht oder in der Pfarrseelsorge tätig waren, sollten bestehen bleiben, die kontem-plativen Klöster hingegen aufgelassen werden“, berichtet Sr. Maria Ancilla. Später wurde das Gebäude in ein Gästehaus für Urlaub im Kloster umfunktioniert. Viele Jahrzehnte lang wurden dort Gäste beherbergt – die letzten vor Beginn der Coronapandemie.

Das persönliche „Heiligtum“

Drei Lieblingsorte hat Sr. Maria Ancilla in dem riesigen Klosterkomplex, die sie künftig am meisten vermissen wird: den Klausurgarten, die Klosterkirche und ihre eigene Zelle. „Diese ist mein persönliches Heiligtum“, bekennt sie, niemand dürfe sie betreten. Gern hält sie sich auch in der Küche auf. Bis zu ihrer Äbtissinnenweihe im Jahre 1996 war diese für Sr. Maria Ancilla in ihrer früheren Funktion als Klosterköchin ihr Reich.

Wie sich ihr Alltag im Kloster Mariengarten künftig gestalten wird, steht noch nicht fest, „das wird sich ergeben“, sagt sie. Nach dem Umzug will sie sich von den Strapazen der vergangenen Monate erholen. „Wir verlassen ein Paradies, aber dort werden wir wohl ein neues Paradies finden“, gibt sie sich optimistisch.

Überhaupt wirkt die Äbtissin sehr entspannt und ruhig, sie scherzt und lacht viel. Mit ihrem Weggang von Kloster Säben lässt sie auch die Verantwortung dafür zurück. „Eine große Last fällt weg“, bekennt sie. Dass sie dies auch als befreiend empfindet, ist nahezu spürbar. Für Kloster Säben, dessen Verwaltung künftig die Diözese übernimmt, hat sie nur einen Wunsch – dass erneut Leben einzieht. Das Bestreben von Bischof Ivo Muser, wieder eine Ordensgemeinschaft anzusiedeln, empfindet sie als tröstlich. Vermissen wird sie den Ort, der ihr 41 Jahre lang Heimat war und für den sie 25 Jahre lang Verantwortung trug, auf jeden Fall: „Es gab viel Schönes – vor allem auch viel Fröhlichkeit und Heiterkeit im Gemeinschaftsleben.“