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60 Jahre Neuordnung der Diözesangrenzen

Damals sprach man von einem „Wunder“. Am 6. August 1964 wurde offiziell die Diözese Bozen-Brixen errichtet. Der deutschsprachige Teil der Diözese Trient kam endgültig zu Brixen, Südtirol wurde zu einer Diözese vereint. Es hatte über 40 Jahre lang gedauert, bis die Neuordnung verwirklicht werden konnte, berichtet Kirchenhistoriker Josef Gelmi im Interview mit dem Katholischen Sonntagsblatt.

Wie und wo haben Sie die Gründung der Diözese erlebt? Welche persönliche Erinnerung haben Sie daran? 

Josef Gelmi: Für mich war dieses Ereignis ein kleines Drama. Als mit der Bulle „Quo aptius“ vom 6. August 1964 die Diözese Bozen-Brixen errichtet wurde und am 8. August der Text der Bulle im „Osservatore Romano“ erschien, war ich Kooperator in Cortina d’Ampezzo. Mit dieser Diözesanregelung wurden die Dekanate Cortina d’Ampezzo und Buchenstein der Diözese Belluno zugeordnet. Ich befand mich also über Nacht in einer anderen Diözese, für die ich mich nicht hatte weihen lassen. Ich habe sogleich den Bischof von Belluno Gioacchino Muccin aufgesucht und gegen diese neue Inkardination protestiert und meine Rückkehr zur alten Diözese Brixen gefordert. Die Unterschiede zwischen den beiden Diözesen waren damals noch sehr groß. Während man zum Beispiel bei uns mit kurzen Hosen Fußball spielen konnte, trugen die Priester aus Belluno noch den Talar. Muccin bat mich um ein bisschen Geduld und stellte mir die baldige Rückkehr in Aussicht, die dann 1966 erfolgte. 

Warum hat es über 40 Jahre lang gedauert, bis die Neuordnung der Diözesangrenzen verwirklicht werden konnte?

Vor allem waren es politische Probleme, die die Errichtung der Diözese Bozen-Brixen hinausgezögert haben. Nachdem bereits 1922 eine Diözesanregelung in Südtirol gescheitert war, fanden 1951 verschiedene diesbezügliche Bemühungen statt, die aber in Rom keine positive Resonanz fanden. Als die politische Lage in Südtirol 1959 immer bedrohlicher wurde, startete der Brixner Bischof Joseph Gargitter eine neue Aktion und empfahl dem römischen Staatssekretariat als beste Lösung die Errichtung einer einzigen Diözese in Südtirol. In den Jahren 1960/61 kam es schließlich mit den Attentaten zu der von Gargitter befürchteten Krise. Am 10. Februar 1961 wurde Gargitter zum Apostolischen Administrator von Trient ernannt. Am 9. Juni 1962 richtete er eine Denkschrift an Kardinal Giovanni Urbani, Patriarch von Venedig, und schlug wieder die Schaffung einer einzigen Diözese in Südtirol vor. Der Erzbischof von Trient, Alessandro Maria Gottardi, der der deutschen Sprache nicht mächtig war und daher im deutschen Anteil von Trient kaum wirken konnte, war zunächst dagegen und wollte, dass neben den Diözesen Trient und Brixen eine eigene Diözese in Bozen errichtet werde. 

Warum ist es dann doch überraschend zur Errichtung der Diözese Bozen-Brixen gekommen? Welche Faktoren haben dazu geführt und wer war dabei federführend?

Von entscheidender Bedeutung war die Verknüpfung der Südtiroler Diözesanregelung mit der Innsbrucker Bistumsfrage und mit der damit verbundenen Sanktionierung der Brennergrenze. Als es 1964 schließlich zur Errichtung der Diözese Bozen-Brixen kam, sprach Kardinalstaatssekretär Amleto Giovanni Cicognani von einem Wunder. Das maßgebliche Verdienst hatte dabei zweifellos Bischof Joseph Gargitter.

Wie wichtig war diese Neuordnung für die Bevölkerung?

Die Bedeutung für die Bevölkerung lag vor allem darin, dass nun ganz Südtirol kirchlich geeint war und mit einem Bischof in der Hauptstadt in Bozen einen Ansprechpartner hatte. 

Zeitgleich zur Neuerrichtung der Diözese fand das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) statt. Wie wirkte sich dieses auf den Aufbau der neuen Diözese aus?

Das Zweite Vatikanische Konzil bedeutete für die gesamte Kirche einen neuen Aufbruch. Das galt auch für Südtirol. Vor allem hatte das Konzil einen großen Einfluss auf Bischof Joseph Gargitter, der an der Versammlung aktiv teilnahm. So hat er am 30. September 1963 das Wort ergriffen und verlangt, dass im Schema über die Kirche „Lumen gentium“ zuerst über das Volk Gottes und dann erst über die Hierarchie gesprochen werde. Das Konzil hat auch Gargitter sehr verändert. Glich er vorher eher einem General, wurde er anschließend zum Vater der Diözese. 

Wie gestaltete sich der Aufbau der neuen Diözese? Wer war daran maßgeblich beteiligt? 

Maßgeblich am Aufbau der neuen Diözese waren Bischof Joseph Gargitter und vor allem sein Generalvikar Josef Michaeler beteiligt. Michaeler hat die neue Diözese wie kein anderer geprägt. Das ist auch in seinen  Memoiren nachzulesen, die ich im Jahre 2009 herausgegeben habe. 

Wie erfolgte nach der „äußeren“ auch die „innere“ Einigung?

Die Einigung erfolgte vor allem dadurch, dass Priester der alten Diözese Brixen in den deutschen Anteil der Diözese Trient versetzt wurden und umgekehrt. Ich denke hier an Johann Mayr, der aus dem deutschen Anteil der Diözese Trient stammte und der 1964 Regens am Priesterseminar in Brixen wurde, das er bis 1975 leitete. Unter ihm fanden die ehemaligen Trienter und Brixner Theologen deutscher und italienischer Volkszugehörigkeit erstaunlich schnell und ohne größere Spannungen zu einer echten Gemeinschaft zusammen. 

Welche Ereignisse waren in den vergangenen 60 Jahren besonders relevant für die Diözese?

Ein wichtiges Ereignis war die Diözesansynode von 1970/73. Damals gab es hitzige Debatten über die Zölibatsfrage und über das Pastoralzentrum in Bozen. Das wichtigste Ergebnis dieser Versammlung war ohne Zweifel die Errichtung der Pfarrgemeinderäte, die 1972 eingeführt wurden. Im Jahre 2013 wurde eine weitere Diözesansynode abgehalten, die die sprachenübergreifende Reform des bischöflichen Ordinariats, die Zusammenlegung der Pfarrgemeinderäte deutscher und italienischer Sprache und die Umgestaltung der Seelsorgeeinheiten betraf. Im Jahre 1995 wurde nach dem österreichischen Modell auch in Südtirol ein Kirchenvolksbegehren „Für eine lebendigere Kirche“ durchgeführt, das zu vielen Diskussionen pro und contra führte. Weitere wichtige Ereignisse waren die Seligsprechung von Otto Neururer 1996 und die Heiligsprechung von Josef Freinademetz 2003 in Rom. Ein Jahrhundertereignis war der Urlaub von Papst Benedikt XVI. vom 28. Juli bis 11. August 2008 in Brixen. Ein tragisches Schicksal hatte Bischof Karl Golser. Während sein Vorgänger Wilhelm Egger die Diözese von 1986 bis 2008 leitete, konnte Golser nur zwei Jahre dem Bistum vorstehen. Eine grausame Krankheit zwang ihn bereits 2011 zum Rücktritt.  Angesichts des dramatischen Priestermangels in unserem Land hat Bischof Ivo Muser 2021 verfügt, dass zehn junge Männer aus Tansania und zwei aus Indien in Brixen zum Theologiestudium aufgenommen wurden. An den Wochenenden arbeiten sie in verschiedenen Pfarreien. Nachdem das Benediktinerinnenkloster Säben im Jahre 2022 aufgelassen wurde, wird es ab September zur Freude von Bischof Ivo Muser und vieler Südtiroler von Zisterziensermönchen aus Heiligenkreuz bei Wien wiederbelebt. Möge diese Wiederbelebung des Heiligen Berges für unser ganzes Land zum Segen werden.

Interview: Martina Rainer (erschienen im Katholischen Sonntagsblatt vom 4. August 2024, Nummer 31/2024)

 

 

Josef Gelmi  war  von 1973 bis  2007 Professor für Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen. Von 1998 bis 2017 war er Präsident der Hofburg Brixen. Er ist Autor von rund 40 Büchern.   Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit ist die Papst- und die Kirchengeschichte Tirols.