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Hirtenbriefe

Fastenhirtenbrief 2022: Heute und jetzt

Bischof Ivo Muser

Aschermittwoch, 2. März 2022

Liebe Schwestern und Brüder in unserer Diözese Bozen – Brixen!

Mit dem Aschermittwoch beginnen wir wieder die 40 Tage der österlichen Bußzeit als Vorbereitung auf das älteste und größte Fest unseres Glaubens. Am Ende dieses geistlichen Weges stehen die Tage des Leidens, des Sterbens, der Grabesruhe und der Auferstehung Jesu, die wichtigsten Tage des Kirchenjahres: Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag. Einige Anliegen empfehle ich in diesem Jahr für diesen österlichen Weg. Auch andere Akzente sind selbstverständlich möglich, sinnvoll und wertvoll. Wichtig scheint mir vor allem eines: Es muss konkret sein. „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung“, ruft uns der Apostel Paulus schon am ersten Tag der Fastenzeit zu (2 Kor 6,2).

 

1. Heute fasten

Das Fasten ist wieder im Kommen. Eine ganze Industrie bietet Fastenprodukte an. Beim christlichen Fasten soll nicht nur der Körper entschlackt werden, sondern auch die Seele. Beten, fasten, Almosen geben: diese drei Mittel werden in der Bibel für die seelische Reinigungskur empfohlen. Noch radikaler sind manche Propheten: Das Fasten, das Gott gefällt, besteht nicht im Kampf um die schlanke Linie, sondern in guten Taten. Papst Franziskus erinnert immer wieder an eine besondere Form des Fastens: "… auch das Geschwätz kann töten, weil es den guten Ruf des Menschen tötet. Das Schwätzen ist so hässlich! Am Anfang mag es angenehm und auch unterhaltsam scheinen, aber am Ende erfüllt es unser Herz mit Bitterkeit und vergiftet uns". Fasten ist kein Selbstzweck. Es soll frei machen von Überflüssigem und Schädlichem. Frei machen wofür? Für Gott und die Menschen; weniger um sich kreisen, dafür mehr Zeit haben für andere; weniger fordern, mehr sich einbringen; weniger kritisieren, mehr beten; weniger sich mit Schlagzeilen befassen, mehr in die Tiefe gehen; weniger Tratsch, mehr Zuwendung; weniger laute Töne, mehr Stille, mehr Innehalten, mehr Nachdenken; neu hungrig werden nach Gott.

 

2. Heute zur Beichte gehen

Ich mache Mut, ein vergessenes Sakrament wieder zu entdecken: das Sakrament der Versöhnung. Ich tue es aus persönlicher Erfahrung. Weil es auch in meinem Leben eine Spannung gibt zwischen Glauben und Unglauben; zwischen dem, wie ich sein möchte und dem, wie ich bin; zwischen dem, wo ich mich auf das Evangelium einlasse und dem, wo ich hinter dem Anspruch Jesu zurückbleibe; zwischen dem, was mir gelingt und dem, wo ich mich treiben lasse. Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, um Vergebung zu erfahren, umzukehren, etwas anders und besser zu machen. Aber das Bußsakrament ist doch besonders intensiv und konkret - und genau deswegen so kostbar. Es geht nicht um die Sünde im Allgemeinen, es geht nicht um die Sünde der anderen, es geht um mich, um meine Gottes- und Menschenbeziehung, um das persönliche Erkennen und Eingestehen von Schuld; vor allem aber geht es darum, dass ich Gott und seine Liebe suche und brauche. Ich habe die Beichte schätzen gelernt von einer zweifachen Richtung her: als Beichtender und als Beichtvater. Es ist etwas Großes, wenn ein Mensch glauben kann, dass Gott immer zur Vergebung bereit ist, ausnahmslos immer, wenn wir darum bitten. Und es ist etwas Großes, dass ein Priester, der selber ein sündiger Mensch ist und die Vergebung braucht, im Namen Gottes und der Kirche zu einem anderen Menschen sagen kann: "Ich spreche dich los von deinen Sünden", wirklich, ohne Wenn und Aber.

Versuchen Sie es! Auch nach Jahren oder Jahrzehnten. Die Beichte hat viel mit geschenkter und erlebter Befreiung und Freiheit zu tun.

 

3. Heute den Kreuzweg betrachten

Die 14 Stationen des Kreuzwegs sind wie ein Spiegel, in den wir schauen. Leichtfertigkeit hat hier keinen Platz. Gelächter und oberflächliche Zwischenrufe am Kreuzweg sind der Hohn der Henker. Den Kreuzweg betrachten, bedeutet: Du selber hast Platz auf diesem Weg, mit deinen Schwächen, deinem Versagen, deinen Verletzungen, deinen offenen Fragen. Sieh auf das, was du nicht gerne anschaust in dir. Bring mit, was du dir nicht gerne zugestehst: die Fehler, die Schuld, die harten Urteile, die Gleichgültigkeit, das Fallen, das Scheitern, die Angst vor Leiden und Tod. Die Personen, die uns auf dem Kreuzweg Jesu begegnen, sagen uns Wichtiges über uns und auch über unsere Zeit – positiv und negativ: Pilatus, die Soldaten, Maria, Simon von Cyrene, Veronika, die weinenden Frauen von Jerusalem, das Volk am Rande des Weges, das sehr schnell zwischen „Hosanna“ und „Kreuzige ihn“ wechselt.

Die zehnte Station erzählt, dass Jesus die Kleider vom Leib gerissen werden. Nackt und ausgeliefert steht er vor seinen Henkern, ein Augenblick letzter Erniedrigung. Kleider bedecken nicht nur den Körper, sie verhüllen das Geheimnis eines Menschen. Jesus werden sie vom Leib gerissen. Die beleidigenden Zurufe treffen ins Innerste. Das gibt es auch heute, auch unter uns. Es fängt an mit dem Geschwätz: Hast du schon gehört … und endet mit Rufmord. Niemand weiß etwas Genaues, aber alle haben zu reden. Noch mehr: Alle werden zu Richterinnen und Richtern, die sich anmaßen alles zu verstehen und beurteilen zu können. Eine moderne Form, einen Menschen seiner Kleider zu berauben, sind Vorverurteilungen und gemeine, hinterlistige, anonyme und zerstörerische Bemerkungen und Behauptungen in den sozialen Medien. Zurück bleiben Menschen, deren Gefühle mit Füßen getreten sind, deren Vertrauen zerbrochen, deren Würde beschädigt und nicht selten sogar zerstört ist. Es braucht keine Folter. Gewaltsame Entblößung beginnt mit dem Gerede und mit dem Verurteilen, das vom Geheimnis und von der Würde des Menschen nichts weiß.  

 

4. Heute an der Seite der Menschen sein, die Missbrauch, Erniedrigung und Gewalt erfahren haben

In den letzten Wochen sind wir zum wiederholten Mal konfrontiert mit der Wunde, dem Skandal und der Sünde des Missbrauchs in der Kirche. Als Bischof erkenne ich betroffen, wie schnell es geschehen kann, in diesem sensiblen, schmerzlichen und beschämenden Bereich Fehler zu machen. Es tut weh zu erkennen, dass wir auch als Kirche hier gefehlt haben und fehlen, weil wir uns zu wenig den Opfern zugewandt haben, ihrer Not, ihrer Verletzung, ihrem großen Leid. 

Aufarbeitung und Prävention bleiben der Auftrag – als Kirche und als Gesellschaft. Ich erkenne, dass wir als Diözese uns noch deutlicher diesem Auftrag stellen müssen. Es wäre ein entscheidender Schritt nach vorne, wenn es hier immer mehr zu einem Schulterschluss kommen würde zwischen allen Bereichen des kirchlichen, familiären und gesellschaftlichen Lebens, weil Missbrauch überall geschehen kann und geschieht. Ich bitte darum, dass über das Thema Missbrauch offen geredet wird, auch wenn es schwer ist und wenn es Überwindung kostet. Ich ermutige zur Zivilcourage, das Schweigen zu brechen und mit unserer diözesanen Ombudsstelle Kontakt aufzunehmen, wenn Menschen in der Kirche Erniedrigung, Gewalt und sexuellen Missbrauch erleiden mussten. Ich ermutige dazu, dass Opfer, Mitbetroffene und Mitwissende in allen Bereichen der Gesellschaft und der Kirche sich dort melden, wo Missbrauch geschehen ist. Aktuelle Fälle sollten auch den staatlichen Behörden übergeben werden.

Nahe und gemeinsam den Weg gehen.

Die weltweite Synode, auf die Papst Franziskus so viel Hoffnung setzt, macht uns Mut, uns auf den Weg zu machen – hinter Jesus her, im Hören auf ihn und auf einander. Unser diözesanes Jahresthema lädt uns ein, „nahe und gemeinsam“ diesen Weg zu wagen und zu gehen. Bleiben wir miteinander auf dem Weg. Gerade jetzt. Bleiben wir auf allen Ebenen der Kirche füreinander gläubige Weggefährtinnen und Weggefährten: Einander nahe und untereinander verbunden in IHM, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn.

 

+ Ivo Muser, Bischof                           Aschermittwoch, 2. März 2022