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Predigten

Kassian – und Vigiliussonntag in Brixen 2025

Bischof Ivo Muser

Sonntag, 4. Mai 2025

Brixen, Dom

Liebe Festgemeinschaft, geehrte Vertreter und Vertreterinnen des öffentlichen Lebens, liebe Mitbrüder und liebe Seminaristen aus der Erzdiözese München-Freising und aus unserem Priesterseminar, liebe Ministrantinnen und Ministranten, liebe Mitglieder der Vereine und Verbände, cara comunità in festa, stimate autorità, voi tutti che siete collegati con noi attraverso Radio Sacra Famiglia und Radio Grüne Welle, fredesc y sorus!

Jesus, der Auferstandene, erscheint seinen Jüngern zum dritten Mal, nachdem sie nach den niederschmetternden Ereignissen des Karfreitags traurig, orientierungslos und mit leeren Händen in ihren Alltag zurückgekehrt sind. Sie fischen nachts und wie ihr Herz bleibt auch ihr Netz leer. Dann beginnt es Tag zu werden – und auch ihnen geht ein Licht auf. Sie werden gefragt, ob sie etwas zu essen haben. Sie ziehen Bilanz und müssen gestehen: Sie haben nichts – und dieses Eingestehen gibt dem Wunder der vollen Netze erst seinen Raum. Nun schöpfen sie ihren Sinn nicht mehr aus sich, sondern aus der Gestalt vom anderen Ende des Ufers. „Es ist der Herr!“: Das ist die Ostererfahrung des Petrus und seiner Begleiter. Das ist die Initialzündung vom See von Tiberias, die durch die Jahrhunderte geht und die durch Generationen von gläubigen Menschen auch uns und unser Land erreicht hat. Heute ist ein Tag, der uns einlädt, dafür zu danken!

Unsere Diözesanpatrone Kassian und Vigilius stehen stellvertretend für den Anfang der Glaubensgeschichte in unserer Diözese, die dreimal in ihrer mehr als 1500 Jahre alten Geschichte ihren Namen gewechselt hat: Säben, Brixen und Bozen – Brixen. Wir stehen auf den Schultern der Apostel, der Märtyrer, der Heiligen, der Bischöfe, Priester und Ordensleute, der vielen Mütter und Väter, der vielen Frauen und Männer, die vor uns geglaubt haben. Heute liegt die Weitergabe des Glaubens an uns. Heute entscheidet sich auch durch uns, ob der christliche Glaube den Menschen nach uns erhalten bleibt. Dafür braucht es nicht nur die anderen. Es braucht uns, es braucht mich. 

Der heutige Kassian – und Vigiliussonntag steht unter einem weltkirchlich bedeutsamen Vorzeichen: Am kommenden Mittwoch beginnt das Konklave zur Wahl des Nachfolgers von Papst Franziskus. Sein Stil, Papst zu sein, die Akzente und Gesten, die er gesetzt hat, haben viele Menschen berührt – auch außerhalb unserer Kirche. Sein Begräbnis wurde zu einem bewegenden Ereignis des Gebetes, der Wertschätzung und österlicher Hoffnung. 

In der vergangenen Woche hatte ich bei einem Mittagsspaziergang in Bozen eine Begegnung, die ich sicher nicht mehr vergessen werde. Ein einheimischer Obdachloser, den ich schon länger kenne, kam auf mich zu und drückte mir zehn Euro in die Hand, mit der Bitte, für den verstorbenen Papst eine heilige Messe zu feiern. Als ich mich weigerte, das Geld anzunehmen, sagte er entschieden: „Das müssen Sie tun. Ich habe in dieser Woche dafür gespart. Papst Franziskus war unser Papst. Er hat uns komische Typen gemocht.“ Und lachend sagte er dann: „Das nächste Mal werden sicher Sie mir wieder etwas geben“.

Wir warten auf den 267. Papst unserer Kirche. Ein Ereignis, das weltweite Aufmerksamkeit bekommt: Neugier, Faszination, Analysen, Wünsche, Befürchtungen, Diskussionen und sogar Wetten sind mit dem Konklave verbunden. Ich lade euch heute alle ein, dieses Ereignis geistlich und als Ausdruck unseres Glaubens zu deuten und zu erwarten.

Alles beginnt mit einem Fischer vom See Genezareth. Sein Name ist Simon. Von Jesus wird er zum „Petrus“, zum Felsen erklärt. Das ist nicht Ausdruck einer besonderen Leistung und noch weniger eines starken Charakters. Von seinem Wesen her ist Petrus alles andere als eine felsenfeste Persönlichkeit. Das Neue Testament verschweigt es nicht: Begeisterung und Angst, Bekenntnis und Verrat, Fels und Satan liegen bei ihm nahe beieinander. Keine andere Gestalt begegnet uns im Neuen Testament nach und neben Jesus so oft und so anschaulich wie gerade er. Viele Seiten an Petrus, dem Ersten der Apostel, zeigen sich auch in der Kirchen- und Papstgeschichte – mit allen Höhen und Tiefen, mit allen Brüchen und Aufbrüchen.

Wenn wir mit den Augen des Glaubens in diesen Tagen auf den 267. Papst warten, dann warten wir auf den Petrus von heute. Seine Hauptaufgabe wird es wieder sein, um es mit dem II. Vatikanischen Konzil zu sagen, „das immerwährende, sichtbare Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ zu sein. Der Papst hat vor allem der Einheit der Kirche zu dienen. Das dürfen und sollen gläubige Menschen von ihm erwarten. Wir kennen den neuen Papst noch nicht, aber wir wissen, was er sein muss: der Petrus von heute, so wie es Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus in ihrer Amtszeit waren.

Das Ringen um den Weg der Kirche gehört zu ihrem Wesen und zu ihrem Auftrag dazu. Wir sind als Kirche immer auf dem Weg durch die Geschichte und noch nicht am Ziel. Deswegen darf es Spannungen, Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen, unterschiedliche Standpunkte geben, wenn es darum geht, nach Antworten und Lösungen zu suchen, die dem Evangelium entsprechen. Ich halte es aber für bedenklich, wenn bestimmte Gruppen nur so lange hinter dem Papst stehen, solange er Entscheidungen trifft, die den eigenen Vorstellungen und Lieblingsgedanken entsprechen. 

Das Stehen zum Papst und hinter dem Papst hat nichts mit Sympathie zu tun. Das muss Ausdruck der objektiven Dimension unseres Glaubens sein, nicht Ausdruck einer subjektiven Befindlichkeit. Katholisches Denken, Sprechen und Glauben dürfen nie polarisierend und ausgrenzend sein. Glauben wir daran, dass Christus der Herr der Kirche ist, auch heute, und dass er nicht aussteigt aus dem Boot seiner Kirche? Kommt in unseren Kirchendiskussionen und Kirchenbildern die Freude an Jesus durch und die Freude, Christen und Christinnen sein zu dürfen? Ist uns bewusst, dass wir diese Glaubensfreude und diese Hoffnung aus dem Glauben den Menschen von heute schuldig sind?

In jeder Eucharistiefeier, die für uns auch der konkrete Ausdruck der kirchlichen Einheit ist, beten wir immer auch für den Papst und nennen seinen Namen. Nur in diesen Tagen, wo es keinen Papst gibt, entfällt sein Name im eucharistischen Hochgebet. Ich bitte euch heute, schon jetzt für den neuen Papst zu beten, unabhängig davon, wer er sein wird, und ich bitte alle um ein Denken, Reden und Verhalten, das im Dienst der Einheit der Kirche steht. Es hat auf mich immer einen tiefen Eindruck gemacht, dass Papst Franziskus zum häufigsten Wort seiner Amtszeit die Bitte um das Gebet für ihn gemacht hat: „Non dimenticatevi di pregare per me“.

Ich schließe mit dem Gebet, mit dem auch die Kardinäle zur Papstwahl in die Sixtinische Kapelle einziehen werden: „Ewiger Gott, du bist der Hirt, der seine Herde beschützt und durch die Zeiten führt. Gib der Kirche einen Papst, dessen heiliges Leben dir gefällt und dessen Hirtensorge deinem Volk den rechten Weg weist.“

Maria, Mutter der Kirche, heilige Diözesanpatrone Kassian und Vigilius, alle Heiligen und Seligen unserer Diözese, erbittet uns Freude an unserem Osterglauben und macht uns Mut, Pilger und Pilgerinnen der Hoffnung zu sein. Warum? Weil der Herr auferstanden ist!