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Predigten

Predigt zum Jahresschluss 2023

Bischof Ivo Muser

Sonntag, 31. Dezember 2023

Brixner Dom

Der Schatz im Acker, die wertvolle Perle: ein Mensch findet heraus, was wirklich wichtig ist. Der Schatz ist so wertvoll, dass sich alles Schätzen und Abschätzen erübrigt. Die Perle ist so kostbar, dass alles Vergleichen überflüssig wird. Wer auf diesen Schatz gestoßen ist, wer diese Perle gefunden hat, kann alles andere weggeben. Es braucht nichts anderes mehr. Wir Menschen werden uns immer fragen: Ob das klug ist? Jesus meint: Das ist nicht nur klug, das ist die Weisheit Gottes.

Das Jahresende bietet die Gelegenheit, persönlich und gemeinsam innezuhalten und zurückzuschauen. Dieser Rückblick sollte mehr sein als nur ein flüchtiger Blick in den Rückspiegel; er sollte ein bewusstes Innehalten und Nach-innen-Gehen sein. Wir erinnern uns und lassen das, was uns bewegt hat, nachhallen. Denn es ist dieser Nachhall, der das Echo unserer Erfahrungen in die Zukunft trägt und wertvoll und nachhaltig macht.

Was waren die Perlen dieses Jahres, die Schätze, die mir geschenkt wurden, die offenen Fragen, die Herausforderungen, die Baustellen, die leidvollen Ereignisse, die ich mit 2023 verbinde? Nehmen wir uns in diesen Tagen rund um den Jahreswechsel Zeit für einen solchen Rückblick – in der Haltung der Dankbarkeit, der Umkehr, der Hoffnung. Es lohnt sich.

Hier nenne ich jetzt nur einige wenige Ereignisse und Anliegen, die mich und unsere Diözese in diesem Jahr begleitet haben. Nur wenige Blitzlichter und Themen:

Genau heute vor einem Jahr starb der emeritierte Papst Benedikt XVI. Am 3. Jänner habe ich hier im Brixner Dom ein Requiem für ihn gefeiert und am 5. Jänner war ich am Petersplatz in Rom bei seinem Begräbnisgottesdienst. Ein dankbarer Abschied von einem Papst mit einer  persönlichen Beziehung zu unserem Land und zu unserer Diözese. Brillante Intellektualität und ein schlichter, demütiger Glauben haben in Papst Benedikt eine beeindruckende Synthese gefunden. Es ist meine feste, persönliche Überzeugung: Joseph Ratzinger/Papst Benedikt ist mit seinem Lebenswerk ein Kirchenlehrer unserer Zeit und weit über unsere Zeit hinaus!

Zum Aschermittwoch am 22. Februar habe ich meinen Fastenhirtenbrief veröffentlicht. Er trägt den Titel: „Mut zum Verzicht“. Wir leben in einem reichen Land und wir dürfen dankbar dafür sein, dass wohl noch nie in der Geschichte unserer Heimat es so vielen Menschen finanziell und materiell so gut ging wie heute. Gleichzeitig erleben wir auch in Südtirol: Materieller Wohlstand und Konsumsteigerung allein haben die Menschen nicht zufriedener gemacht. Anlass zu Sorge bietet die Einstellung, wo vor allem in Anspruchskategorien gedacht wird. Dankbarkeit und Maß sind für viele keine Leitwerte mehr.

Am 8. März folgte ein kleiner Sozialhirtenbrief mit dem Titel: „Dankbarkeit als Ausdruck der Lebenseinstellung“. Da stehen auch diese Sätze: „Wir brauchen den Mut, den Willen und die Kraft, das Gemeinwohl höher zu schätzen als die Ansprüche, Interessen und Forderungen einzelner und bestimmter Kreise. Wir brauchen eine Politik, die von den Schwachen und Nicht-Einflussreichen her handelt und die von der Verantwortung für kommende Generationen her Maßnahmen setzt.“

Bei der Chrisammesse am Gründonnerstag, dem 9. April, habe ich hier im Brixner Dom gesagt: „Die ersten christlichen Gemeinden waren nicht groß und strukturell abgesichert. Sie waren klein, eine Minderheit, gesellschaftlich am Rande und nicht selten sogar verfolgt. Aber sie waren groß in ihrer christlichen Identität und mit einem deutlichen missionarischen Auftrag… Eine Kirche, die in unserer komplexen Gesellschaft keinen Widerspruch auslöst, eine Kirche, die nur gelobt werden möchte, weil sie das nachsagt, was „in“ ist und die im Strom der Meinungen mitschwimmt, muss sich fragen, ob sie wirklich in der Spur des Evangeliums ist, in der Spur des gekreuzigten Auferstandenen.“

Der Weltjugendtag Anfang August hat auch Südtiroler Jugendliche nach Lissabon geführt, zur Begegnung mit Papst Franziskus und weit über einer Million anderer Jugendlicher. Eine junge Südtirolerin sagte in Lissabon zu mir: „Mir ist aufgegangen, wie kraftvoll unser Glaube ist, wie sehr er weltweit Menschen verbindet und zusammenführt. Die katholische Kirche ist viel größer als meine Sicht auf die Wirklichkeit. Ich habe auch verstanden, warum es in unserer Kirche den Papst braucht und wie sehr er unsere Unterstützung und unser Zuhören braucht“.

Bei der Pastoraltagung im September habe ich einen realistischen und hoffnungsvollen Blick in das Jahr 2038 gewagt, also 15 Jahre voraus. Dabei war es mir wichtig, einzuladen, sich der Realität zu stellen und keine Angst davor zu haben, wenn wir als Kircheweniger, bescheidener und machtloser werden. Entscheidend ist, das wir vom Evangelium beseelt sind, dass wir gerne Christinnen und Christen sind, dass das Hören auf das Wort Gottes und auf die Nöte der Menschen uns begleitet und dass wir neu entdecken, welches Geschenk der christliche Glaube ist – nicht nur für uns, sondern auch für unsere Gesellschaft. Ein synodales Denken und Handeln – ganz im Sinn von Papst Franziskus, brauchen wir – weltweit und bei uns.

Im November sind wir mit dem diözesanen Projekt „Mut zum Hinsehen“ gestartet. Es geht um eine kulturelle und strukturelle Mentalitätsveränderung, um eine bewusste und verinnerlichte christliche Grundhaltung, die gewährleistet, dass unsere Diözese, in allen ihren Bereichen, ein sicherer Ort für Minderjährige und vulnerable Personen ist. Ebenso sind alle Familien, Schulen, Bildungseinrichtungen, Vereine, die Politik und die Gesellschaft als ganze aufgerufen, sich der Wunde und der Sünde des sexuellen Missbrauchs zu stellen, den es leider überall und häufig gibt.

Ein Ereignis möchte ich noch besonders hervorheben: Im Juli dieses Jahres fuhr ich mit einer kleinen diözesanen Delegation nach Uganda, um Projekte zu besuchen, die von unserer Diözese unterstützt werden. Die Lebensfreude der Menschen dort, trotz vieler Sorgen, insbesondere wirtschaftlicher Art, war beeindruckend. Noch nie zuvor habe ich so viele Kinder und junge Menschen gesehen. Uganda hat eine junge Bevölkerung und die Kirchen sind voll. Die Menschen sind dankbar für die Hilfe, die sie erfahren. Von dieser Reise habe ich vor allem eine Erfahrung mitgenommen: Wie kostbar Gemeinschaft ist! Es war eine bereichernde Erfahrung, zu entdecken, dass die Kirche lebendig ist, und dass Gemeinschaft von unschätzbarem Wert ist. Das Thema “Weniger Ich und mehr Wir“ in Kirche und Gesellschaft hat mich in diesem Jahr sehr beschäftigt – in vielen Zusammenhängen unserer Kirche und unserer Gesellschaft.

Der Neujahrstag ist auch der Weltfriedenstag unserer Kirche: Die grausamen und Menschen verachtenden Ereignisse in der Ukraine, in Palästina und in Israel, in Afghanistan, in Syrien und in allen Kriegs- und Krisengebieten unserer Welt, die uns auch am Ende dieses Jahres 2023 beschäftigen, aufwühlen und erschrecken, dürfen wir niemals ausblenden. Darauf gibt es nur eine menschlich – christliche Antwort: Das Leid aller Beteiligten sehen und anerkennen, Solidarität, Gewaltlosigkeit, Bereitschaft zu Kompromissen und zur Versöhnung, Gedanken, Worte und Taten des Friedens. Und alles beginnt im eigenen Herzen, bei den eigenen Beziehungen, in der eigenen Umgebung. Selbstverteidigung darf nie in Vergeltung ausarten – nicht in der kleinen Welt und nicht in der großen. DERJENIGE, den wir in dieser festlichen Zeit feiern, liegt wehrlos in seiner Krippe und stirbt an seinem Kreuz nicht als Täter, sondern als Opfer.

Maria, morgen, acht Tage nach dem Weihnachtsfest und am ersten Tag des Neuen Jahres, feiern wir dich als die Mutter Gottes, die uns denjenigen geboren hat, nach dem wir unsere Jahre zählen. Führe uns immer zu deinem Sohn und zur Hoffnung, für die er steht. Erinnere uns jeden Tag neu an sein Versprechen: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20).