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Predigten

Requiem für Papst Franziskus im Brixner Dom

Bischof Ivo Muser

Donnerstag, 24. April 2025

Brixner Dom

Wir alle kennen das: Der erste Eindruck bleibt. Der erste Eindruck geht uns nach. Wir sprechen von der Liebe auf den ersten Blick; und wir kennen auch die Antipathie, die vom ersten Blick ausgelöst wird.

Natürlich bleibt eine reife Beziehung und eine verantwortete Einschätzung eines Menschen nicht beim ersten Eindruck stehen. Ja, es kann sogar sehr problematisch, verletzend und ungerecht sein, einen Menschen auf den ersten Eindruck zu reduzieren. Oft ist es sogar notwendig, dass wir den ersten Eindruck zurückdrängen, um einem Menschen eine Chance zu geben. Wer nur beim ersten Eindruck stehen bleibt, wird einem Menschen sicher nicht gerecht und versteckt sich selber hinter einem Vorurteil. Trotzdem gilt: Der erste Eindruck geht uns nach und begleitet uns!

Meine erste Begegnung mit Papst Franziskus hatte ich am Abend des 14. April 2013 nach dem Abendessen in der Casa S. Marta im Vatikan, fast genau einen Monat nach seiner Wahl zum Bischof von Rom. Anlässlich meines Ad-limina - Besuchs war ich in jenem Gästehaus untergebracht, wo Papst Franziskus seit seiner Wahl wohnte. Ich stellte mich vor als „Bischof von Bozen-Brixen“. Darauf der Papst: „Das ist dort, wo Papst Benedikt seine Ferien verbracht hat. Man hat mir gesagt, dass es dort besonders schön sei“. Und dann sagte er mit einer humorvollen Bemerkung, die den überraschenden und für unsere Diözese schmerzlichen Tod von Bischof Wilhelm Egger in Erinnerung rief, der genau am Ende jener Woche plötzlich verstarb, an deren Anfang wir Papst Benedikt von seinem Ferienaufenthalt im Brixner Priesterseminar verabschiedet hatten: „Wenn der Papst zu euch kommt, dann wird es für den Bischof gefährlich. Deswegen ist es wohl besser, dass ich nicht komme“.

Vier Tage später, am 18. April, kam es dann zur ersten, offiziellen Begegnung: Zusammen mit weiteren sechs Bischöfen aus unserer regionalen Bischofskonferenz von Nordost-Italien empfing mich der Papst zum Ad-limina - Gespräch. Es dauerte eine Stunde und vierzig Minuten. Und seit dieser Begegnung blieb mir der starke Eindruck: Das ist ein innerlich freier Mensch! 

Das ist der stärkste Eindruck, der mir geblieben ist – bis heute. Bei den folgenden Begegnungen mit Papst Franziskus – es waren sicher mehr als dreißig - hat sich für mich dieser Eindruck jedes Mal bestätigt. Franziskus war ein Mensch und Amtsträger vom Schlag der „biblischen Propheten“: im Wort Gottes verwurzelt, unmittelbar, spontan, unbequem, herausfordernd, angstfrei, einer, der einlädt zur „Unterscheidung der Geister“, einer, der dich nicht kalt lässt.

Mich bewegt der letzte Tag seiner Amtszeit: Es ist der Ostersonntag, der festlichste Tag des Kirchenjahres. Mit letzter Kraft spendete Papst Franziskus der Stadt und dem Erdkreis – urbi et orbi – noch den österlichen Segen. Er lässt sich noch einmal durch die zehntausenden Pilger und Pilgerinnen auf dem Petersplatz fahren – um Abschied zu nehmen und gewissermaßen die Kirche und die ganze Welt zu umarmen. Es ist meine feste Überzeugung: Da hat ein Anderer und ein Größerer Regie geführt!

Alles begann am 13. März 2013 mit einem schlichten „Buona sera“. „Barmherzigkeit“ wurde ein zentraler Begriff seiner Amtszeit, in seinem Denken, in seiner Verkündigung, in seinen Gesten. Er wollte Hirte und Seelsorger sein, der den Menschen zuallererst als Menschen gesehen hat. Vor allen Unterschieden, die es unter uns gibt, sind wir zuerst und zuletzt nichts anderes als Menschen. Der Mensch ist wichtiger als jedes Programm, als jede Struktur und jede Ideologie.

Besonders seine Sorge für die Armen und die Menschen an den Rändern gehören zu seinem bleibenden Vermächtnis. Auch die Bewahrung der Schöpfung und sein Einsatz für globale Gerechtigkeit waren ihm ein Herzensanliegen. „Laudato si’“ und „Fratelli tutti“ bleiben wegweisende, herausfordernde und markante Texte, die den Weg der Kirche prägen werden, ja sogar prägen müssen. Sonst haben wir keine gute Zukunft vor uns!

Er wird in Erinnerung bleiben vor allem durch Gesten der Menschlichkeit: Der Trauerkranz, den er für unzählige ertrunkene Flüchtlinge bei seiner ersten Reise nach Lampedusa ins Mittelmeer warf. Das herzliche Umarmen eines schwerstbehinderten Mannes bei einer Generalaudienz. Franziskus alleine mit der Monstranz auf dem verregneten Petersplatz im Corona-Lockdown. In Zeiten, in denen Bilder mehr wert sind als lange Reden hat dieser Papst die Welt bewegt - und ihr ein Bild einer Kirche gezeigt, die sich dem Menschen zuwendet und zur Botschaft des Evangeliums steht.

Sein Testament hat der Papst 2022 verfasst, an einem symbolträchtigen Datum, am 29. Juni, dem Festtag der Apostel Petrus und Paulus.  Er schreibt, dass er das Ende seines irdischen Lebens nahen spüre und auf das Ewige Leben hoffe. Dann regelt er den Ort seiner Beisetzung und schreibt: "Ich habe mein Leben und meinen Dienst als Priester und Bischof stets der Mutter unseres Herrn anvertraut. Deshalb ordne ich an, dass meine sterblichen Überreste in der Papstbasilika Santa Maria Maggiore den Tag der Auferstehung erwarten." Weit über hundertmal hat er in den vergangenen zwölf Jahren seine Lieblingsbasilika besucht, immer mit einem Blumenstrauß für die Mutter Gottes, die „Salus Populi Romani“.

Für seine Grabstätte verfügt er: "Das Grab muss in der Erde sein; einfach und ohne besonderen Schmuck und mit der einzigen Inschrift: Franciscus." Weiter heißt es in dem kurzen Text: "Möge der Herr jenen die verdiente Entlohnung geben, die mir wohl wollten und weiter für mich beten werden. Das Leiden im letzten Abschnitt meines Lebens habe ich dem Herrn geopfert für den Frieden in der Welt und die Geschwisterlichkeit unter den Völkern." Der letzte Satz in seinem Testament nennt zentrale Anliegen seiner Persönlichkeit und seines Wirkens: Frieden in der Welt und Geschwisterlichkeit unter den Völkern.

Vor gut einem Jahr, im Februar 2024, bei meinem zweiten Ad-limina-Besuch bei Papst Franziskus, habe ich ihm die Frage gestellt, worunter er leidet und was ihm schwerfällt. Seine Antwort war sehr präzise: Man will nicht hören, was ich gemeint habe mit dem Satz: „Diese Wirtschaft tötet“. Besonders besorgt zeigte er sich wegen der weltweiten Waffenproduktion. Wörtlich sagte er zu mir: „Ti dico, sono molti che desiderano il conflitto al posto della pace – ovunque.” Aber er fügte auch wörtlich hinzu: “Non perdere la speranza. Siamo cristiani. Dunque, avanti, sempre avanti. Questo è il Vangelo”. 

Ich schließe mit dem Beginn der Enzyklika „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus. Es ist jener Schlüsseltext, der wie ein roter Faden das Anliegen seines Pontifikats für mich am deutlichsten zum Ausdruck bringt: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen…Mit Jesus Christus kommt immer - und immer wieder - die Freude.“

Danke, Papst Franziskus! Im Licht von Ostern durftest du die Heilige Pforte zum ewigen Leben durchschreiten. Du hast uns so oft darum gebeten, dass wir für dich beten. Jetzt bitten wir dich: „Non dimenticarti di pregare per noi“.  Bete für uns, für die Kirche und die Welt. Bete mit uns für deinen Nachfolger. Wir wissen noch nicht, wer es ist, Gott aber kennt ihn schon.