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Schulbeginn: Zweifaches Verständnis von Religion

Am Montag 07. September 2020 hat ein neues und vermutlich sehr herausforderndes Schuljahr begonnen. Kürzlich hat jemand die gesamte Covid19-Kirsensituation so zusammengefasst: Sicher ist, dass alles unsicher ist! Beziehungsarbeit und Interaktion gehören unbestritten zum Bildungsauftrag der Schule. Dafür leistet der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag, auch im neuen Schuljahr.

 

                Es kann hilfreich sein, mit dem deutsch-amerikanischen Theologen und Philosophen Paul Tillich (1886-1965) einen doppelten Begriff von Religion zu unterscheiden. Er unterscheidet zwischen „Religion im engeren Sinn“ und „Religion im weiteren Sinn“.

                „Religion im engeren Sinn“  meint  die einzelnen voneinander abgegrenzten Religionen, wie wir sie kennen und benennen. In diesem Sinn hat jede Religion ihre besondere eigene Entstehungs- und Verlaufsgeschichte, ihre besonderen hl. Schriften und ihre Lehren, ihre soziologische Struktur, ihren jeweiligen hierarchischen Aufbau und ihre besonderen Formen der Pflege der Beziehung zu Gott. In diesem Sinn sind Religionen voneinander zu unterscheiden und zeigen Veränderungen und Entwicklung.

                „Religion im weiteren Sinn“ meint die Tatsache, dass alles was sich in der Welt und im Leben ereignet, immer auf das Absolute bezogen bleibt. Nicht nur in der konkreten Religion im engeren Sinn, sondern in allen Bereichen strebt der Mensch über das Gegebene hinaus und sucht das Bessere und Vollkommenere. Auch im ganz profanen Bereich ist der Mensch, was immer er tut, stets getrieben und angezogen vom Wahren, Schönen, Guten, vom Sinnhaften. Hinter allem noch so profanen kulturellen Streben bleibt der Mensch auf das Unendliche, Unbedingte und Vollkommene und damit auf Gott bezogen. Religion bzw. das Religiöse wohnt in diesem Sinne jedem Vollzug des Lebens inne. Sogar das Schuldhafte und Negative verweist indirekt auf das Gute, das versäumt wurde.

                Im Religionsunterricht geht es demnach zunächst darum, die Ausdrucksweisen der eigenen Religion, ihre Geschichte, ihren Aufbau, ihre heiligen Schriften, ihre konkreten religiösen Ausdrucksformen und ihre ethischen Richtlinien in Form von „schulischem Wissensstoff“ kennen zu lernen. Zum anderen zeigt der Religionsunterricht auf, dass alle Bereiche des täglichen Lebens, alle menschlichen kulturellen Äußerungen, alle Vollzügen des Individuums und der Gesellschaft auf einen umfassenden, unbedingten Sinn bezogen sind.

                Dabei vermittelt sich dem Schüler das Bewusstsein der letztgültigen Geborgenheit in einem Sinnzusammenhang, der durch Gott gegeben ist. Dies trägt dazu bei, in den Kindern und Jugendlichen jenes Urvertrauen ins Leben zu stärken, das für ihre existenzielle und moralische Identität lebenslang entscheidend wichtig ist.

Josef Torggler