Weltweit wird in diesen Stunden an die großen und wichtigen Stationen in der Biographie, im geistlich–theologischen Lebenswerk und im Pontifikat von Papst Benedikt XVI. erinnert.
Der Mensch, Theologe und Papst
Demut, der Mut zum Dienen: Das ist für mich der Schlüssel zur Persönlichkeit von Joseph Ratzinger, zu seinem Denken, zu seiner Theologie, zu seinem Amtsverständnis, zur Art und Weise, wie er unser Papst war. Nicht zuletzt auch sein freiwilliger und bewusster Rücktritt vom Petrusamt ist Ausdruck dieses Mutes zum Dienen.
Es ging ihm immer um die Synthese zwischen Vernunft und Glauben. Wenn der Glaube authentisch bleiben will, demütigt er die Freiheit und die Vernunft des Menschen nicht. Warum, so fragte er sich oft, sollten Glaube und Vernunft Angst voreinander haben, wenn sie sich dann am besten darstellen können, wenn sie miteinander einen Dialog beginnen und im ständigen Dialog bleiben? Der Glaube befreit und weitet die Vernunft. Aber auch der Glaube braucht die Vernunft, wenn er wirklich dem Menschen gerecht werden will, seinem Fragen, Suchen und Ringen.
Die Theologie und die Verkündigung von Joseph Ratzinger als Professor, Bischof und Papst sind Ausdruck dieser Synthese, die der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens Ausdruck verleihen will. Und diese Synthese weiß darum, dass alles "Reden über Gott" einmünden muss in ein liebendes, vertrautes und staunendes "Reden zu Gott".
Es ist meine feste, persönliche Überzeugung: Joseph Ratzinger/Papst Benedikt ist ein Kirchenlehrer unserer Zeit und weit über unsere Zeit hinaus! Sein Tod wird seine Theologie und seinen Dienst für die Kirche noch leuchtender machen.
Erinnerungen…
Als Bischof unserer Diözese Bozen-Brixen erinnere ich jetzt mit großer Wertschätzung und Dankbarkeit an jenen Teil seiner Biographie und seines Pontifikates, der ihn vor allem mit uns verbindet: mit unserem Priesterseminar, mit Brixen und seinem Dom, mit unserer Ortskirche und unserem Land.
Joseph Ratzinger kannte Südtirol sehr gut und er pflegte die Beziehung zu ganz konkreten Menschen in unserem Land. Seit 1967 kam er immer wieder nach Brixen und von hier aus besuchte er verschiedene Orte unseres Landes. Als Kardinal verbrachte er zehn Urlaube in Brixen als Gast unseres Priesterseminars, das elfte Mal kam er als Papst: vom 28. Juli bis zum 11. August 2008. Es war wie eine Art Liebeserklärung an Brixen und an unser Seminar, als er sich am 11. August vom Bibliotheksfenster des Priesterseminars aus mit den Worten verabschiedete: „Alle schönen Dinge haben ein Ende und so leider auch mein Urlaub in Brixen. Aber ich kann euch sagen: Es war wunderschön! Und wenn auch äußerlich diese Tage enden, es bleibt ein Schatz an Erinnerungen, die ich mit mir nehme und durch die ich immer bei euch sein kann. Und vor allen Dingen will ich über die Brücke des Gebetes bei euch sein.“
Beim Angelusgebet am Brixner Domplatz am 3. August sagte er, dass ihn mit Brixen ein „Schatz der Erinnerungen“ verbindet und dass er gekommen sei mit dem menschlichen Bedürfnis, bei uns ein wenig auszuruhen. Er kam, um „noch einmal im schönen Brixen, diesem Land, wo Kunst und Kultur und die Güte der Menschen sich miteinander verbinden, Urlaub zu verbringen“. Bei dieser Gelegenheit sagte er auch, „dass die größten Dinge unseres Lebens nicht gekauft, nicht bezahlt werden können, sondern dass wir die wichtigsten, elementarsten Dinge des Lebens nur geschenkt bekommen können“. Er hat uns daran erinnert, wie wichtig „ein strukturierter Tag ist, ein Tag, in dem immer wieder Gott Einlass findet“ und „dass der Glaube nicht nur Zukunft hat, sondern die Zukunft ist“.
Bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Brixen am 9. August wollte er die Stadt Brixen und unser Land daran erinnern, welches unsere Berufung ist: die Begegnung zwischen Sprachen und Kulturen, „die wir heute so sehr brauchen“. „Wir wissen, dass sie nicht immer leicht ist, aber dass sie immer fruchtbar und beschenkend ist. Dass sie allen hilft und uns reicher, offener und menschlicher werden lässt.“
Bei seiner Wallfahrt nach Oies zum Geburtshaus unseres Heiligen Josef Freinademetz am 5. August erinnerte er daran „dass der Glaube für keine Kultur und kein Volk eine Entfremdung darstellt, weil alle Kulturen Christus erwarten und vom Herrn nicht zerstört werden: Im Gegenteil, sie erreichen ihre Reife“.
Am 6. August bei der Begegnung mit Priestern, Diakonen und Seminaristen im Dom sprach er von seiner großen Überzeugung, dass Vernunft und Herz, Schönheit und Wahrheit einander berühren, aber auch davon, dass die Bereitschaft und die Fähigkeit, das Leiden und die Leidenden anzunehmen, das Maß echter Menschlichkeit sind. In seiner Antwort auf eine Frage, die ihm Professor Karl Golser, unser späterer Bischof stellte, betonte er die Wichtigkeit des Staunens als der ersten Quelle unserer Verantwortung für die Schöpfung.
Beim Angelusgebet am 10. August stand er vor uns mit der Überzeugung, dass der Herr uns seine Hand entgegenstreckt: durch die Schönheit eines Sonntags, durch die festliche Liturgie, im Gebet, in der Begegnung mit Gottes Wort, in vielfältigen Situationen des Alltags. Er hält uns die Hand entgegen, damit wir in seinem Namen, anderen die Hand hinreichen. Treffend sagte damals eine Frau zu mir, die inzwischen auch schon gestorben ist: „Es ist schön, einmal den Papst zu sehen; noch wichtiger aber ist es, ihm gut zuzuhören. Er hat sehr viel zu sagen“.
Zwei Geschenke des Papstes, die er unserem damaligen Bischof Wilhelm Egger übergab – ein Messkleid für den Brixner Dom und ein Kelch für das Priesterseminar – werden uns immer an ihn erinnern. Die Worte des Papstes zum Abschied von Brixen sind jetzt, bei seinem Abschied von dieser Welt, ein hoffnungsvolles Vermächtnis: „So sind wir beieinander, und vom Herrn her berühren wir uns und freuen uns miteinander und versuchen, das Rechte zu tun für heute und für morgen“ (11. August).
Tiefe Dankbarkeit
Weil ich glaube, dass unsere Verstorbenen bei Gott leben, richte ich mich direkt an ihn: Verehrter, emeritierter Papst Benedikt, Ihr langes, irdisches Leben ist zu Ende. Sie leben jetzt – wie wir hoffen und glauben – auf der anderen Seite des Lebens. Ich rufe Ihnen ein tiefempfundenes Vergelt´s Gott nach – ganz persönlich und im Namen unserer Diözese. Vergelt´s Gott für Ihr großes Lebenswerk, für Ihren Petrusdienst, für Ihre persönliche Beziehung zu unserer Diözese und zu unserem Land. Sie haben Bischof Karl Golser und mich zu Bischöfen unserer Diözese ernannt. Auch dadurch bleiben Sie untrennbar mit der Kirchengeschichte unserer Diözese verbunden.
Die Begegnungen, die ich auch noch in den Jahren nach Ihrem Rücktritt mit Ihnen hatte, gehören jetzt für mich zu einem besonderen und kostbaren „Schatz der Erinnerungen“. Über die Brücke des Glaubens, der Dankbarkeit, der Hoffnung und des Gebetes bleiben wir miteinander verbunden. Ich bitte Sie um Ihren Segen vom Himmel aus für Ihren Nachfolger, unseren Papst Franziskus, und die ganze Kirche. Ich bitte Sie um Ihren Segen für mich und unsere Diözese. Der menschgewordene, gekreuzigte und auferstandene Herr lasse Sie endgültig und für immer erleben, was seine Krippe und sein Kreuz uns verheißen: Erlösung und Leben in Fülle.
+ Ivo Muser, Bischof