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Predigten

Requiem für den emeritierten Papst Benedikt XVI.

Bischof Ivo Muser

Brixner Dom, 3. Jänner 2022

„Liebst du mich?“, so fragen im Normalfall nur Kinder und Frischverliebte – und offenbar auch Jesus. Er fragt nicht allgemein: „Liebt man mich?“ Er fragt sehr direkt, den Petrus persönlich: „Liebst du mich?“

Jesus stellt Petrus diese Frage nicht als Privatmann, sondern als den Inbegriff des kirchlichen Amtes. Er fragt ihn auch nicht aus persönlicher Sympathie, sondern in aller Form, weil er ihn in die Leitung seiner Kirche beruft: „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer!“ Damit wird Petrus ins Amt eingewiesen, eingeweiht. Zuvor aber heißt die entscheidende Frage: „Liebst du mich?“ Die Tauglichkeit des Petrus für sein Amt besteht darin, dass er sich von Jesus lieben lässt und ihn liebt. Das ist die alles entscheidende Zulassungsbedingung für das kirchliche Amt.

Dreimal stellt Jesus diese entscheidende Frage; er wird fast penetrant, und für Petrus wird es auf jeden Fall peinlich und schmerzvoll. Es geht eben nicht nur um die erste Liebe. Petrus hat diese erste Liebe gekannt. In der für ihn und seine ganze Lebensgeschichte so typischen Begeisterung sagt er noch im Abendmahlssaal: „Und wenn alle an dir Anstoß nehmen – ich niemals!“. Aber dann kam die große Enttäuschung, dass es mit dem Messias und überhaupt so ganz anders kam, als er es sich gedacht und erträumt hatte. Petrus kommt in wenigen Stunden soweit – oder besser: er sinkt so tief, dass er nicht einmal mehr zugeben kann, Jesus zu kennen. Und der Hahn kräht, beim dritten Mal. 

Jetzt, in der Stunde seiner Berufung ins Amt, wird diese dunkelste Seite nicht unterschlagen, sondern offen angesprochen. Mit der Liebeserklärung und dem Amt kommt auch der Verrat auf den Tisch. Und Petrus entscheidet sich neu, ein zweites, ein drittes Mal: „Ja, Herr, du weißt alles, du weißt dass ich dich liebe“. 

„Deus caritas est“: so lautet der Titel der ersten Enzyklika, die Papst Benedikt XVI. am Weihnachtstag 2005 veröffentlicht hat. Für mich ist diese Enzyklika der Schlüssel zu seinem Denken, seiner Theologie, seinem Amtsverständnis und seinem Petrusdienst. „Gott ist die Liebe“: Das ist das Entscheidende. Mehr kann im Grunde nicht über Gott gedacht, gesagt und verkündet werden.

Papst Benedikt XVI. verehrte den heiligen Augustinus als jenen Theologen und geistlichen Schriftsteller, der ihn selber am meisten geprägt hat. Augustinus wollte das rechte Leben finden, nicht einfach dahinleben. Die leidenschaftliche Suche nach Wahrheit ist der Motor seines bewegten Lebens, seines Fragens und Suchens, die große Unruhe seiner Persönlichkeit. Alles, was nicht der Wahrheit entsprach, war ihm immer ein Stück zu wenig. Erst im demütigen Glauben der Kirche findet er diese Wahrheit. Das Wort, der Logos, ist Fleisch geworden! Nur so berührt Gott, dieser letzte Sinn von allem, unsere persönliche Geschichte, uns, auch mich. Auf seinem Weg der Wahrheitssuche hat er die entscheidende Demut gelernt: Jesus Christus, das Wort und der Sinn in Person, ist nicht zu finden ohne die Gemeinschaft mit seinem Leib, der die Kirche ist. 

Diese leidenschaftliche Suche nach Wahrheit, dieses Fragen und Ringen nach der Begegnung mit der Wahrheit, die in Christus Mensch geworden ist, zeichnet Joseph Ratzinger und seine Theologie aus. Nicht zufällig lautete sein bischöfliches Leitwort: „Cooperatores veritatis – Mitarbeiter der Wahrheit“. Es ist eine Wahrheit, die nur in der Liebe standhält!

Im gläubigen Ringen um die Gottesfrage ging es Papst Benedikt immer um die Synthese zwischen Vernunft und Glauben. Wenn der Glaube authentisch bleiben will, demütigt er die Freiheit und die Vernunft des Menschen nicht. Warum, so fragt er sich oft, sollten Glaube und Vernunft Angst voreinander haben, wenn sie sich dann am besten darstellen können, wenn sie miteinander einen Dialog beginnen und im ständigen Dialog bleiben? Der Glaube weitet die Vernunft. Aber auch der Glaube braucht die Vernunft, wenn er wirklich dem Menschen gerecht werden will, seinem Fragen, Suchen und Ringen.

Die Theologie und die Verkündigung von Joseph Ratzinger als Professor, Bischof und Papst sind Ausdruck dieser Synthese, die der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens Ausdruck verleihen will. Und diese Synthese weiß darum, dass alles "Reden über Gott" einmünden muss in ein liebendes, vertrautes und staunendes "Reden zu Gott". Brillante Intellektualität und ein schlichter, demütiger und ehrlicher Glauben haben in Papst Benedikt eine beeindruckende Synthese gefunden.

Unter den vielen Begegnungen, die Joseph Ratzinger und Papst Benedikt mit Brixen, mit unserer Diözese und mit Südtirol verbunden hat, erinnere ich jetzt nur an zwei. Am 6. August 2008, dem Fest der Verklärung des Herrn, fand hier im Brixner Dom seine Begegnung statt mit den Seminaristen und mit den Diözesan- und Ordenspriestern in unserer Diözese. Da stellte auch Professor Karl Golser, unser späterer Bischof, dem Papst eine Frage, und zwar zur Schöpfungsverantwortung. Darauf sagte Papst Benedikt: „Die Schöpfung stöhnt – wir spüren es, wir hören es förmlich –, und sie wartet auf Menschen, die sie von Gott her anschauen. Der brutale Verbrauch der Schöpfung setzt dort ein, wo es keinen Gott gibt, wo Materie nur noch Material ist für uns, wo wir selbst die letzten Instanzen sind, wo das Ganze uns einfach gehört und wir es für uns verbrauchen. Und der Verbrauch der Schöpfung setzt dort ein, wo wir keine Instanz mehr über uns haben, sondern nur noch uns selber wollen. Er setzt dort ein, wo es keine Dimension des Lebens über den Tod hinaus mehr gibt, wo wir in diesem Leben sozusagen das Ganze an uns reißen und das Leben so voll besitzen müssen wie nur möglich, wo wir alles haben müssen, was überhaupt zu haben ist.“

Und bei seinem ersten Angelusgebet während seiner Urlaubstage hier in Brixen, am 3. August 2008, sagte er draußen auf dem Domplatz: „Ein ganz herzliches „Vergelt’s Gott“ allen: Sie sind alle in meinem Gebet. Das ist die Weise, wie ich Ihnen danken kann und versuchen kann, „Danke“ zu sagen… Dann erinnerte er uns alle, „dass die größten Dinge dieses unseres Lebens nicht gekauft, nicht bezahlt werden können, sondern dass wir die wichtigsten, elementarsten Dinge des Lebens nur geschenkt bekommen können: Die Sonne und ihr Licht, die Luft, die wir atmen, das Wasser, die Schönheit der Erde, die Liebe, die Freundschaft, das Leben selber. All diese eigentlichen zentralen Güter können wir nicht kaufen, sondern nur geschenkt bekommen…Wenn wir so von Gott Beschenkte sind, müssen wir auch selber Schenkende werden: im geistigen Bereich, indem wir Güte, Freundschaft, Liebe geben, aber auch im materiellen Bereich – das Evangelium spricht vom Teilen des Brotes. Beides soll uns heute in die Seele dringen: dass wir schenkende Menschen sein sollen, weil wir empfangende sind; dass wir die Gabe der Güte und der Liebe und der Freundschaft weitergeben, aber dass wir allen, die unserer bedürfen und denen wir helfen können, auch die materiellen Gaben geben und damit versuchen, die Welt menschlicher – das heißt, gottnäher zu machen.“

Verehrter, emeritierter Papst Benedikt, Sie sind am Karsamstag des Jahres 1927 geboren und es hat Ihnen viel bedeutet, dass Sie mit dem Osterwasser getauft wurden. Gestorben sind Sie am letzten Tag des Jahres 2022, der den Namen von Papst Silvester trägt, an der Schwelle zum Neuen Jahr 2023. Die Zeit ist für Sie zu Ende und die Ewigkeit hat für Sie begonnen. Sie leben jetzt – wie wir hoffen und glauben – auf der anderen Seite des Lebens. Ich rufe Ihnen ein tiefempfundenes Vergelt´s Gott nach – ganz persönlich und im Namen unserer Diözese. Vergelt´s Gott für Ihr großes Lebenswerk, für Ihren Petrusdienst, für Ihre persönliche Beziehung zu unserer Diözese und zu unserem Land. Sie haben Bischof Karl Golser und mich zu Bischöfen unserer Diözese ernannt. Auch dadurch bleiben Sie untrennbar mit der Kirchengeschichte unserer Diözese verbunden. 

Vergelt´s Gott für Ihr Sein und Wirken. Auf ein hoffnungsvolles Wiedersehen auf der anderen Seite des Lebens, wo Sie jetzt sind und wohin wir noch unterwegs sind. Beten Sie für unseren Papst Franziskus und für die ganze Kirche. Beten Sie auch für uns. Segnen Sie uns alle von der Gemeinschaft mit jenem Gott her, der nichts anderes als Liebe ist.

Der menschgewordene, gekreuzigte und auferstandene Herr lasse Sie endgültig und für immer erleben, was seine Krippe und sein Kreuz uns verheißen: Erlösung und Leben in Fülle