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Predigten

Bischof Ivo Muser - Einführung von P. Kosmas Thielmann OCist als Pilgerseelsorger auf Säben

Bischof Ivo Muser

Samstag, 7. September 2024

Säben

Liebe Mutter Ancilla, lieber Abt Maximilian, lieber P. Kosmas und liebe Mönche aus Heiligenkreuz, liebe Mitbrüder, geehrter Herr Bürgermeister und geehrter Herr Landesrat, liebe Mitfeiernde über „Radio Maria Südtirol“, liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Zweimal im Laufe des Kirchenjahres lässt uns die Liturgie den Stammbaum Jesu aus dem Matthäusevangelium verkünden: am 17. Dezember, acht Tage vor dem Weihnachtsfest, und am Fest Mariä Geburt, das wir am morgigen 8. September feiern. In diesem Stammbaum begegnen uns die großen Namen aus der Geschichte Israels, aber auch Namen, die die Geschichte schon längst wieder vergessen hat. Hier begegnen uns vorbildliche Gestalten, aber auch fragwürdige und zweifelhafte Persönlichkeiten; Heilige, und genauso auch Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen haben. In dieser langen Reihe von dreimal vierzehn Geschlechterfolgen stehen Glaubende neben Verrätern, Heilige neben Mördern, Gerechte neben Halunken und Gewalttätigen und in diesem Stammbaum gibt es auch Ausländer und Heiden. Alle sind sie Vorfahren Jesu.

Dieser Stammbaum will uns sagen: Unser Gott ist ein Gott der Geschichte. Er hat mit dieser wechselvollen und oft auch leidvollen Geschichte zu tun. Er hält sich nicht heraus, er begibt sich hinein. Gott wird in Jesus nicht mehr aufhören zu zeigen, dass er auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. In IHM ist die Geschichte nicht mehr nur eine Folge von Zufällen, von Auf- und Abbrüchen, von Paradoxien und von Zeit, die gnadenlos vergeht, sondern Heilsgeschichte.

Mit diesem Stammbaum dürfen wir die Kirchengeschichte in Verbindung bringen: mit ihrer Größe und ihrem Versagen, mit ihrem Bekenntnis und ihrem Verrat, mit ihren vielen Heiligen und mit ihren vielen Sündern und Sünderinnen.

In diesen Stammbaum dürfen wir die Weltgeschichte hineinlesen, aber auch die kleine Geschichte unseres Landes mit ihren Herausforderungen, mit ihren faszinierenden Seiten und auch mit ihren blinden Flecken, mit ihrer Berufung, ein Land der Begegnung zu sein zwischen Sprachen, Mentalitäten und Kulturen.

Und mit diesem Stammbaum dürfen wir unsere eigene Lebensgeschichte in Verbindung bringen. Wir alle haben darin unseren Platz: mit unseren Aufgaben und Entscheidungen, mit unseren Brüchen, Hoffnungen und Sorgen, mit der Spannung von Heiligkeit und Sünde, die oft mitten durch unser eigenes Herz geht.

Der Stammbaum Jesu ist wirklich Evangelium: frohe, gute und lebensfördernde Botschaft. Durch die Menschwerdung Jesu ist unsere menschliche Geschichte für immer auf Gott ausgerichtet. Das bedeutet nicht, dass wir alles rechtfertigen dürften, was es in Geschichte und Gegenwart an falschen Entscheidungen, an irrigen Wegen, an Unglauben, an Verrat und Gewalt, an menschlicher Schwäche und Dummheit, an Stolz und Selbstgerechtigkeit und auch an Grausamkeiten gab und gibt. Aber trotz allem und durch alles hindurch dürfen wir dankbar und staunend bekennen: Ziel aller Geschichte ist Jesus, der von Maria geboren wurde und der der Christus genannt wird. Es gibt den Erlöser und wir brauchen diesen Erlöser! Ob wir IHN aufnehmen oder ablehnen, daran entscheidet sich die Geschichte der Kirche, die Zukunft unseres Landes und unser eigenes Leben.

Auch Säben ist geprägt durch eine lange und bewegte Geschichte, die durch archäologische Ausgrabungen gut bezeugt ist. Spätestens im 5. Jahrhundert beginnt die christliche Geschichte auf diesem Heiligen Berg Tirols. Mit Bischof Ingenuin, der im Jahre 605 hier auf Säben stirbt, beginnt die ununterbrochene Bischofsliste unserer Ortskirche. An die vierzig seiner Nachfolger wurden auf Säben bestattet. Säben war Ausgangspunkt für die Missionstätigkeit der Bischöfe, die weit in die ladinischen Täler geführt hat. Bischof Albuin hat um das Jahr 1000 den Sitz des Bischofs endgültig nach Brixen verlegt. Säben aber blieb im Bewusstsein als „Wiege der Diözese“. Heute darf ich der 103. Bischof von Säben, Brixen und Bozen – Brixen sein. 

1685 zogen die ersten fünf Benediktinerinnen aus dem Kloster Nonnberg in Salzburg in das neugegründete Kloster hier auf Säben ein. Am 21. November 2021, dem Errichtungstag dieses Klosters zum Heiligen Kreuz und dem Patroziniumsfest dieser Klosterkirche übergab mir die 11. und letzte Äbtissin von Säben, Mutter Ancilla Hohenegger, den Schlüssel des Klosters und auch den Schüssel zum Tabernakel dieser Kirche. Ein  symbolträchtiger und auch schmerzlicher Akt, der uns alle bewegt hat und der von vielen Menschen in unserer Diözese und in unserem Land nachdenklich und bedauernd wahrgenommen wurde.

Ich erlaube mir, das zu wiederholen, was ich damals – genau an dieser Stelle - gesagt habe: „Säben, dieser Symbolort unserer Diözese und unseres Landes, bleibt geprägt durch das „ora et labora“ der Benediktinerinnen. Der Segen, der durch ihr Sein und Wirken von diesem Ort ausging, geht nicht verloren. Ich hoffe und bete, dass es Kontinuität in der Diskontinuität gibt. Als Diözese und als Bischof werden wir alles versuchen, dass uns diese Wiege unserer Diözese erhalten bleibt als ein geistlicher Ort, getragen durch geistliche Menschen, die hier leben, arbeiten, beten und so eine Hoffnung ausstrahlen: Wir brauchen mehr als nur das Funktionale, das Alltägliche, das Vordergründige und das Materielle. Wir brauchen mehr, weil wir Menschen mehr sind! Wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die das „quaerere Deum“, das Gott-Suchen zu ihrem Lebensinhalt machen und die uns auch als Kirche und Gesellschaft nachhaltig daran erinnern, dass das Sein vor dem Tun kommt, dass das Tun aus einem Sein herauswachsen muss.“

Heute darf ich die Schlüssel weitergeben, die mir Mutter Ancilla damals überreicht hat. Ich tue es in Dankbarkeit und Hoffnung – und mit großer Freude. Der große Schlüssel öffnet die Klosterpforte, der kleine öffnet den Tabernakel, in dem Christus, der Sohn Gottes und der Sohn Marias, im Zeichen seiner Eucharistie als der eigentliche Hausherr von Säben unter uns ist. 

Ich danke Abt Maximilian und seiner Zisterziensergemeinschaft von Heiligenkreuz, dass sie meine Einladung angenommen und geprüft haben und dass sie sich für Säben durchgerungen und entschieden haben. Ich danke P. Kosmas, dass er heute als Pilgerseelsorger eine missionarische Aufgabe hier auf Säben beginnt. Er wird auch als priesterlicher Mitarbeiter dem Dekan von Klausen helfen. Möge er der erste einer langen Reihe sein. Ich danke für diesen kleinen, konkreten und überzeugten Beginn. Möge damit Segen für viele Menschen verbunden sein! Ich danke unserem Diözesanökonomen Franz Kripp, den ich zum Verwalter von Säben eingesetzt habe. Es war für mich in den vergangenen Jahren schön zu erleben, dass dieser Symbolort unserer Diözese für ihn nicht nur ein Arbeitsauftrag, sondern ein Herzensanliegen geworden ist. Ich danke den vielen Menschen, die mit Wohlwollen, Hoffnung und Gebet das begleitet haben, was wir heute beginnen dürfen – und es waren sehr viele! Ich danke der Gemeinde Klausen und dem Land Südtirol für ihr respektvolles, waches und lebendiges Interesse an diesem besonderen Ort unserer Heimat. 

Die Texte des Festtages Mariä Geburt feiern die Gottesmutter mit dem Bild der Morgenröte. Ihre Geburt ist der Anfang, die Geburt ihres Sohnes ist das Ziel. Sie ist die Morgenröte, Christus ist die Sonne. Auch der Beginn, den wir heute feiern – auf dem Hintergrund einer langen, bewegten Geschichte mit vielen Auf-, Ab- und Umbrüchen – soll wie eine Morgenröte sein im festen Vertrauen auf die Sonne, die uns Maria geboren hat und die seit Ostern nicht mehr untergeht: Jesus, der Christus, der „Gott mit uns“.