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Hirtenbriefe

Hirtenbrief

Liebe Schwestern und Brüder in unserer Diözese Bozen-Brixen, am 15. August, mitten im Sommer, feiern wir das größte aller unserer Marienfeste: das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Zu diesem großen österlichen Festtag möchte ich drei Gedanken mit Ihnen teilen.
1. Maria ist Sinnbild des erlösten Menschen Als Kirche bekennen und glauben wir, dass Maria, die Mutter Jesu, mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist. Ihr gesamtes irdisches Leben, sie selbst in der Ganzheit ihrer Person hat in der Gemeinschaft mit Christus, dem Auferstandenen, die Fülle des Lebens und der Erlösung gefunden. Gott hat an ihr die Erlösung vollendet, zu der wir alle in Christus berufen sind. Es ist ein Fest der Hoffnung, das wir feiern! Der Tod bedeutet für uns nicht Abbruch oder dass wir ins Nichts fallen. Er ist auch nicht einfach die Überwindung der Bindung an Raum und Zeit oder die Loslösung von unserem Leib. Der Tod bedeutet vielmehr das Überschreiten einer Schwelle hinein in eine Wirklichkeit, die unser irdisches Leben umfasst und aufnimmt. Unsere Lebensgeschichte ist keine Nebensächlichkeit, sondern gerade sie ist es, die zur Erlösung geführt wird. Alles, was wir in unserem Leben erfahren und erlitten haben, was uns geprägt und geformt hat, auch was uns verletzt hat, körperlich oder psychisch, ist in der Liebe Gottes geborgen und wird in ihr Heilung finden. Es gibt nichts Menschliches, was nicht Erlösung finden könnte, nichts, was die Liebe Gottes nicht umfangen und heilen könnte. Gott – und das ist eine wichtige Botschaft dieses Festes – denkt groß von uns Menschen. Im Magnifikat, im Lobgesang Marias, ist uns das Leitmotiv dieses Festtages geschenkt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,47-48). Ja, Gott schaut auf unsere Niedrigkeit, nicht um uns klein zu machen und zu halten, sondern um uns zu erhöhen. Die Niedrigkeit kann vieles bedeuten: Einmal das menschliche Leben mit all seinen Niederungen und den alltäglichen Schwierigkeiten, dann aber auch die Bereitschaft, sich in den Dienst Gottes zu stellen, sich ihm zur Verfügung zu stellen, ihn an uns wirken zu lassen, seinem Willen zu folgen. Wo wir uns dem Willen Gottes öffnen, dort wird er Großes wirken.
2. Groß vom Menschen denken Daran möchte ich meinen zweiten Gedanken anknüpfen. Denken auch wir groß vom Menschen – von jedem Menschen! Wie wir von einem Menschen denken und was wir von ihm halten, bringen wir zuallererst dadurch zum Ausdruck, wie wir von ihm sprechen. Ich möchte an dieser Stelle eine große Sorge mit Ihnen teilen, die mich umtreibt und mit Unruhe erfüllt: Was mich in der gegenwärtigen Diskussion um die „Aufnahme“ von Flüchtlingen besonders beschäftigt, ist die Verrohung der Sprache, die Angstmacherei, das Übertreiben, die demagogischen Argumentationen. Wir dürfen nicht schweigen, wenn Flüchtlinge als „menschliches Fleisch auf Schlepperbooten“ bezeichnet werden, als „Ware von menschlichen Wesen“. Hier wird sprachlich einer radikalen Entsolidarisierung mit Menschen in Not der Weg bereitet. In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen geworden dafür, dass jene, die Menschen in Not zu Hilfe eilen, kriminalisiert werden. Es ist uns allen bewusst, dass die Flüchtlingskrise und die Migration weitsichtiger, politischer Lösungen bedürfen. Diese Lösungen können nicht einfach sein, weil das Problem komplex ist und weil es hierfür viele Ursachen gibt. Deshalb halte ich die derzeitigen Tendenzen einer zunehmenden Schließung der Grenzen für höchst problematisch. Die notleidenden Menschen werden aus dem Blick verloren, stattdessen werden eigene Interessen in den Vordergrund gestellt und wir erleben, wie eine Überbetonung des Nationalen neu auflebt und auch auf europäischer Ebene den so wichtigen Zusammenhalt untergräbt. Es braucht verantwortete Lösungsansätze und nicht populistische und zynische Parolen. Es braucht Sachlichkeit und nicht das Schüren von Emotionen. Alles andere wird unserer menschlichen Würde nicht gerecht.
3. Die Würde der Frau Lassen Sie mich an dieser Stelle einen dritten Gedanken mit Ihnen teilen. Viele von uns kennen dieses große Marienfest unter dem schönen Namen „Hoch-Unser-Frauentag“. Ich möchte deshalb auf eine weitere Sorge hinweisen, die mich erfüllt: Wie werden wir den Frauen in ihrer Würde gerecht? Bei allen Themen rund um die Würde der Frau, die wir gesellschaftlich und auch innerkirchlich zu bedenken und zu bearbeiten haben, will ich eines im Besonderen herausgreifen: die Gewalt gegen Frauen. Sie ist ein tagtäglich präsentes Thema. Es beschämt mich, dass wir vor diesem Problem allzu oft die Augen verschließen. Gewalt gegenüber Frauen reicht von psychischer Unterdrückung bis hin zu schwersten körperlichen Angriffen, die manchmal in familiären Katastrophen enden. Auch die sexuelle Ausbeutung ist eine schwere Verletzung der Würde der Frau. Sie kann in der eigenen Familie ebenso stattfinden wie durch Prostitution. Papst Franziskus hat sich wiederholt mit ehemaligen Prostituierten getroffen. Er erkennt in diesen Frauen besonders schwache Glieder unserer Gesellschaft. Auch in Südtirol gibt es Frauen, die sich prostituieren, meistens sind es Frauen mit Migrationshintergrund. Ich erinnere mich, wie Papst Franziskus einmal tief bewegt von einer Begegnung mit einer jungen afrikanischen Frau erzählt hat: „Sie wurde ausgebeutet. Auch mit Folter wurde sie dazu gezwungen, zur Arbeit zu gehen. Sie war schwanger. Und sie musste bis zum Tag der Geburt arbeiten und hat ihr Kind, allein und im Winter, auf der Straße zur Welt gebracht. Sie erzählte mir, dass das Mädchen nicht überlebt hat.“ Der Papst hat dann eine ganz zentrale Frage angesprochen: Das Verhalten der Kunden: „Ich dachte bei mir, nicht nur die Zuhälter, sondern auch diejenigen, die die Mädchen bezahlen: Wissen sie denn nicht, dass sie mit diesem Geld, mit dem sie sich eine sexuelle Befriedigung kauften, den Ausbeutern geholfen haben?“ Der Papst entschuldigte sich für katholische Männer, die sich der „Verbrechen gegen Frauen“ verantwortlich machen, indem sie die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen. Ich möchte mich diesem eindringlichen Appell an das Gewissen von Papst Franziskus anschließen. Wir lösen das Problem der Prostitution nicht, indem wir sie durch bestimmte Maßnahmen von einer Straße in eine andere verlagern. Wir lösen sie nur, wenn wir beginnen, den betroffenen Frauen Aus- und Fluchtwege aus der Prostitution zu ermöglichen und indem ihre Dienste als Prostituierte nicht in Anspruch genommen werden.
Liebe Gläubige, ich lade Sie ein, diese drei Gedanken persönlich zu vertiefen oder auch gemeinsam zu diskutieren, in der Familie, in der Hausgemeinschaft, im Bekanntenund Freundeskreis: 1. Was bedeutet es für uns als Christinnen und Christen, dass wir mit Leib und Seele, mit unserer gesamten Lebensgeschichte und mit unserer ganzen Persönlichkeit auf Erlösung hoffen dürfen? 2. Von welchem Menschenbild lassen wir uns in unserem Denken, Reden und Handeln leiten und was können wir tun, damit sich eine menschenverachtende Sprache und eine gesellschaftlich - politische Verrohung nicht weiter ausbreiten? 3. Was können wir tun, um den unterschiedlichsten Formen der Gewalt gegenüber Frauen entgegenzuwirken und um jene Initiativen sowie Organisationen, die ein Netzwerk gegen Gewalt bilden, zu stärken und zu unterstützen? „Mit dem Herzen im Himmel und mit den Füßen auf der Erde“ - mit diesem Wort des Jugendseelsorgers Johannes Bosco wünsche ich uns allen im Blick auf Maria, den ersterlösten und vollerlösten Menschen, einen lebendigen Glauben an den Himmel und einen entschiedenen Einsatz für die Würde eines jeden Menschen - im Denken, Reden und Tun.
+ Ivo Muser, Bischof Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel, 15. August 2018 Das Anliegen dieses Hirtenbriefes möge am Festtag selber oder am Sonntag vor odernach dem 15. August in den Gottesdiensten aufgegriffen und vertieft werden.