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Predigten

Abschiedsgottesdienst in Säben

Bischof Ivo Muser

Säben, 21. November 2021, Hochfest Christkönig

Liebe Mutter Ancilla und liebe Sr. Elisabeth, sehr geehrter Abtpräses Franziskus, liebe betende Gemeinschaft!

Für einen Menschen, der sich für Fußball begeistert, läuft bei der Fußballweltmeisterschaft alles auf das Finale zu. Wenn ein spannender Krimi zu Ende geht, dann wollen wir am Schluss endlich wissen: Wer war es denn nun? Bevor wir das nicht herausbekommen haben, können wir das Buch nicht weglegen oder den Fernseher nicht ausschalten. Erst, wenn wir wissen, wer der Täter ist, legt sich die Spannung wieder.

Heute feiern wir auch ein Finale. Zwar geht keine Fußballweltmeisterschaft oder ein Krimi zu Ende, aber für gläubige Menschen durchaus etwas Spannendes. Das Kirchenjahr geht zu Ende. Mit dem kommenden 1. Adventssonntag beginnt wieder ein Neues. Der heutige Sonntag ist dabei ein Höhe- und Wendepunkt. Denn heute tritt die Person, die die ganze Zeit verdeckt oder offensichtlich die Hauptrolle spielte, noch einmal in einem ganz anderen Licht auf. Heute feiern wir das große Finale. Heute feiern wir „Christkönig".

Wie anders die Hauptperson des Kirchenjahres ist, wird bei diesem Finale noch einmal deutlich: Er trägt nicht eine Krone aus Gold, er trägt die Dornenkrone. Er kommt nicht in einer Staatskarosse, sondern auf einem Esel daher. Er sitzt nicht auf einem Prunksessel, er hängt am Kreuz. Ein unköniglicher König!

Das Evangelium, das uns bei diesem Finale verkündet wird, unterstreicht mit großer Deutlichkeit das Anderssein dieses unköniglichen Königs. Am Beginn des Johannesevangeliums heißt es von ihm: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Jetzt, während des Prozesses, der ihm gemacht wird, zeigt sich das ganze Ausmaß dieser Nicht-Annahme: der Prozess endet tödlich. Und doch wagt es der Evangelist, Jesus gerade während des Prozesses als denjenigen darzustellen, der letztlich die Fäden des Gesprächs zwischen ihm und Pilatus in Händen hält: „Ja, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Weltgekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,37). Hier geht es nicht um eine theoretische Wahrheit, über die man distanziert streiten könnte. Es geht um den ungeheuerlichen Anspruch, dass in IHM, in seinen Worten und Taten, in seiner Art mit Menschen umzugehen, in seiner Art zu sterben, Gott selber auf dieser Welt aufgeleuchtet ist. Mehr noch: Es geht darum, dass die Wahrheit für uns Fleisch geworden ist, mit allen Konsequenzen, von der Krippe bis zum Kreuz. Ein starkes Finale! Ein Finale, das unsere Vorstellungen und Wünsche übersteigt und durchkreuzt: ein gekreuzigter König! Im Tod ist das Leben.

Mit diesem Finale des Kirchenjahres und damit der Heilsgeschichte verbinden wir heute ein anderes Finale. Menschlich gesehen spüre ich ganz deutlich: Dieses Finale schmerzt. Wir hätten es uns anders gewünscht. Nachdenklichkeit, Betroffenheit und auch Trauer begleiten dieses Finale.

Wir erleben in dieser Stunde Geschichte. Genau heute vor 335 Jahren, am 21. November 1686, wurde das Kloster zum Heiligen Kreuz hier auf Säben von meinem Vorgänger, Fürstbischof Johann Franz Khuen von Belasi, bestätigt. Er hat auch diese Klosterkirche geweiht. Das Patrozinium ist der heutige Tag, der 21. November, das Fest Mariä Opferung, oder wie es heute heißt: Gedenktag Unserer Lieben Frau von Jerusalem. 1685 sind die ersten fünf Benediktinerinnen aus dem Kloster Nonnberg in Salzburg hier auf Säben eingezogen. 1699 wurde das Kloster zur Abtei erhoben und die erste Äbtissin, Maria Agnes von Zeiller, aus Taufers im Pustertal gewählt. Am Ende dieses Gottesdienstes wird mir die 11. und letzte Äbtissin, Maria Ancilla Hohenegger, den Schlüssel des Klosters übergeben. Ein sprechender, symbolträchtiger Akt in diesem Finale.

Ist dieses Finale ein Scheitern? Nein. Im Schauen auf den gekreuzigten König, den wir heute feiern, sage ich ein überzeugtes, gläubiges Nein. Säben, dieser Symbolort unserer Diözese und unseres Landes, bleibt geprägt durch das „ora et labora“ der Benediktinerinnen. Der Segen, der durch ihr Sein und Wirken von diesem Ort ausging, geht nicht verloren. Ich hoffe und bete, dass es Kontinuität in der Diskontinuität gibt. Als Diözese und als Bischof werden wir alles versuchen, dass uns diese „Wiege unserer Diözese“ erhalten bleibt als ein geistlicher Ort, getragen durch geistliche Menschen, die hier leben, arbeiten, beten und so eine Hoffnung ausstrahlen: Wir brauchen mehr als nur das Funktionale, das Alltägliche, das Vordergründige und das Materielle. Wir brauchen mehr, weil wir Menschen mehr sind! Wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die das „quaerere Deum“, das Gott-Suchen zu ihrem Lebensinhalt machen und die uns auch als Kirche und Gesellschaft nachhaltig daran erinnern, dass das Sein vor dem Tun kommt, dass das Tun aus einem Sein herauswachsen muss.

In dieser Stunde werden in mir ganz persönliche Erinnerungen wach, auch an meinen Dienst als Beichtvater mehrerer Schwestern hier in Säben. Vor zehn Jahren war es mir wichtig, die Exerzitien vor der Bischofsweihe hier in Säben zu machen, an dem Ort, der untrennbar verbunden bleibt mit dem Ursprung unserer Diözese. Ich denke mit Wertschätzung an Mutter Marcellina Pustet, eine “mulier fortis“, eine starke Frau, aber genauso an andere Schwestern, die still, treu, bewusst und bodenständig ihr benediktinisches Gott-Suchen gelebt haben.

Liebe Mutter Ancilla und liebe Sr. Elisabeth, vergelt´s Gott für euer Sein und Wirken. Ihr steht heute zusammen mit allen euren Mitschwestern, die in den vergangenen 336 Jahren diesen „Heiligen Berg Tirols“ zu einem Ort des Segens gemacht haben, vor dem Altar dieser Klosterkirche. Vor Gott gibt es nur Lebende: Wir, die wir noch auf dem Weg sind, und unsere Verstorbenen, die uns den entscheidenden Schritt ins Leben bereits voraushaben. Zusammen mit euch sind wir jetzt da, um dieses Finale in das Geschehen der Eucharistie hineinzulegen – betroffen und traurig ja, aber nicht hoffnungslos. Wir bitten um Wandlung und Verwandlung. Im Schauen auf Christus, den gekreuzigten König, legen wir gerade auch in dieser Stunde unser Osterbekenntnis ab: Im Tod ist das Leben!

Maria, Mutter Jesu und Mutter der Kirche, Patronin dieser Klosterkirche, heiliger Kassian und heiliger Ingenuin, heiliger Benedikt und heilige Scholastika, alle Heiligen unserer Diözese und unseres Landes, erbittet uns einen guten, gläubigen und hoffnungsvollen Weg in die Zukunft – immer dem großen und letzten Finale entgegen.