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Predigten

Priesterweihe von H. Maximilian Maria Stiegler CR

Bischof Ivo Muser

Neustift, 30. April 2023

Lieber Prälat Eduard, liebe Gemeinschaft der Augustiner Chorherren hier in Neustift, geehrter Herr Abtprimas und liebe Mitbrüder, liebe Eltern, Angehörige und Freunde unseres Weihekandidaten, liebe festlich gestimmte Glaubensgemeinschaft, lieber H. Maximilian Maria!

Es ist schon viele Jahre her. Ich war noch Theologiestudent in Innsbruck, Seminarist unserer Diözese im Collegium Canisianum. Obwohl es schon so lange her ist, trage ich dieses Ereignis ganz lebendig in mir.

Im Innsbrucker Kongresshaus wurden bekannte Texte der Weltliteratur vorgetragen. Jeder Text von jeweils zwei Sprechern oder Sprecherinnen. Unter den zehn ausgewählten Texten befand sich auch das 10. Kapitel des Johannesevangeliums, also auch der Abschnitt, den wir jetzt als Evangelium gehört haben. Ein Schauspieler des Innsbrucker Landestheaters und ein Pfarrer trugen jeweils diesen Text vor. Ganz überraschend wandte sich anschließend ein sichtbar und hörbar betroffener Schauspieler an das Publikum mit der Frage: „Haben Sie den Unterschied bemerkt? Ich kenne den Text, der Pfarrer kennt den Hirten“.

Es wurde ganz still im großen Saal. Ich habe kaum einmal ein schöneres Kompliment für einen Priester gehört.

Der heutige 4. Ostersonntag trägt auch den Namen “Sonntag des Guten Hirten“, weil an ihm immer ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium verkündet wird, in dem von Jesus Christus als dem Guten Hirten die Rede ist. Das ist dann auch der Grund, warum dieser Sonntag zum „Weltgebetstag für geistliche Berufe“ bestimmt wurde. So wie Jesus dargestellt wird im Bild des Hirten,

dem das Wohl und Wehe seiner Herde so sehr am Herzen liegt, dass er zu deren Schutz sogar sein Leben aufs Spiel setzt, so sollen diejenigen, die in seinem Namen dem Volk Gottes in einem geistlichen Beruf dienen, diesem Bild und der damit gemeinten Haltung entsprechen.

Lieber H. Maximilian, ich habe heute keinen schöneren und wichtigeren Auftrag und Wunsch für dich als diesen: Dass du den Hirten kennst, dass du in seine Lebensschule gehst, dass du dich von ihm führen lässt und dass du nie vergisst: Es ist SEINE Herde, nicht die deine! Es sind SEINE Menschen, nicht die deinen!

Es war dein Wunsch und deine Bitte, dass deine Weihe zum Diakon am 4. September 2022 hier in dieser Stiftskirche unter dem biblischen Wort stehen sollte: „Bindet den Esel los. Der Herr braucht ihn“ (vgl. Lk 19,30ff). Damals habe ich zu dir gesagt: „Lass dich ein Leben lang losbinden. Vertrau darauf, dass dich der Herr braucht und sei bereit, Christus zu den Menschen zu tragen - mit dem, was du als Christ und Ordensmann bist und was dir heute und dann bei deiner Priesterweihe geschenkt und aufgetragen wird.“

Deine Priesterweihe, die ich dir in dieser Stunde spende, steht unter dem Wort des Guten Hirten: „Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und aus gehen und Weide finden.“ (Joh 10,9). Das muss für dich bedeuten: Wer den Hirtendienst an den Menschen auf ihrem Weg zu Gott im Sinne Jesu wahrnehmen will, muss selbst durch die Tür gehen, die Jesus ist, um dann die Menschen durch diese Tür zu ihm zu führen und zu begleiten.

Durch das Weihesakrament wirst du selbst als Tür eingesetzt. Auch durch dich, durch die Verkündigung und Auslegung des Wortes Gottes, durch die Feier der Eucharistie und durch die Spendung der Sakramente

sollst du die Tür offenhalten, die Christus ist. Seine Gegenwart – faszinierend und erschreckend zugleich! - ist auch in deine Hand gegeben. Es hängt auch von dir ab, ob Menschen durch die Tür, die Christus selbst ist, gehen und ob sie erfahren, wozu er gekommen ist: „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

Lieber H. Maximilian, du kannst nur dann Hirte und Tür sein, wenn du den Hirten kennst, wenn du ihn ein Leben lang suchst. Durch die Priesterweihe wirst du nicht ein anderer Mensch, nicht ein „Supermensch“, der alles kann und für alles eine Antwort und eine Lösung hat. Du sollst aber mit allem, was dich ausmacht, Sakrament sein: Zeichen und Werkzeug für das, was Gott an dir und durch dich wirken will – in der Gemeinschaft der Kirche, für das Heil der Menschen. Du sollst, ganz im Sinne des Apostels Paulus, nicht Herr über den Glauben der anderen sein, sondern ein Diener ihrer Freude an diesem Glauben (vgl. 2 Kor 1,24). Du darfst und sollst Hirte und Tür sein, zeichenhaftes Hinweisschild auf den einzigen Guten Hirten und auf die einzige Tür, die zur guten Weide und zu einem Leben in Fülle führt.

Ich werde dich jetzt gleich fragen: „Bist du bereit, dich mit Christus täglich enger zu verbinden?“ Das ist das Geheimnis unseres Priesterseins. Lass es deine größte Sorge sein, dass die Beziehung zu Christus in dir nicht verkümmert und nie einfach selbstverständlich wird, auch nicht unter frommer Routine.

Auf mich macht es immer einen tiefen Eindruck, wenn es bei der Beerdigung eines Priesters im letzten Gebet auf dem Friedhof heißt: „Herr, du weißt, wie er für dich und die Menschen gewirkt hat; du kennst seine Erfolge, seine Kämpfe und Leiden, du kennst auch sein Versagen“.

Lieber H. Maximilian, noch liegt dein Leben als Priester wie ein unbeschriebenes, weißes Blatt vor uns. Wir wissen

noch nicht, was alles auf diesem Blatt zu stehen kommt an Aufgaben und Diensten, an Erfolgen und Misserfolgen, an Freuden und Kämpfen, an Versagen und Schuld. Solange du aber versuchst, mit ehrlichem Herzen den Guten Hirten zu bringen, bist du auf dem richtigen Weg – auf dem Weg zu IHM und über ihn zu den Menschen. Bewahre Christus als den kostbarsten Schatz deines Lebens und gib großzügig, bescheiden und ehrfürchtig weiter, was dir nicht gehört, was dir aber heute durch das apostolische Zeichen meiner Handauflegung anvertraut wird!

Liebe Jugendliche, liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder! Wir feiern heute die einzige Priesterweihe in unserer Diözese in diesem Jahr. Priesterweihe ist ein Bekenntnis unseres Glaubens an Christus, den einzigen Herrn und den Guten Hirten seiner Kirche. Um ihn geht´s im Dienst des Priesters. Worum denn sonst? Was bliebe vom Dienst eines Priesters, wenn wir nicht von Christus reden? Nichts, was der Rede wert ist.

Ich wünsche mir so sehr, dass Menschen in Berührung kommen mit der Schönheit, der Orientierung und der Tiefe des christlichen Glaubens und dass junge Menschen – ermutigt von vielen Erwachsenen – sich der Frage nach der eigenen Berufung stellen können. Wir brauchen Priester und wir brauchen Frauen und Männer, die sich mit Freude und Begeisterung in den Dienst unserer Glaubensgemeinschaft stellen und so gemeinsam die Hirtensorge Jesu für seine Kirche mittragen.

Vom heiligen Augustinus gibt es ein Buch mit dem Titel „Retractationes“, mit dem er auf seine Werke und auf sein bewegtes Leben zurückschaut. Da erkennt er: Nur einer ist vollkommen: Jesus Christus. Nur in ihm ist sein Evangelium ganz erfüllt. Die ganze Kirche aber – wir alle, die Apostel eingeschlossen – müssen jeden Tag beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren

Schuldigern (vgl. Retractationes I,19,1-3). Augustinus hatte eine letzte Demut gelernt: Wir alle, ohne Ausnahme, brauchen die barmherzige und vergebende Güte Gottes. Wir werden nur dann Christus, dem Guten Hirten, ähnlich werden, wenn wir wie er Menschen der Barmherzigkeit sind.

Lieber H. Maximilian, das Erkennungssymbol für den heiligen Augustinus ist sein brennendes Herz. Sei ein Priester, dessen Herz brennt – für Christus und die Menschen. Mit den Worten aus den „Bekenntnissen“ des großen Kirchenvaters schicke ich dich als Priester auf den Weg: „Wirf dich auf den Herrn und fürchte dich nicht. Er wird nicht ausweichen und dich nie fallen lassen. Wirf dich unbesorgt auf ihn. Er wird dich auffangen, dich heilen“ (Confessiones VIII 11).

Und jetzt, lieber H. Maximilian, mache dich auf den Weg und bleibe auf dem Weg! Orientiere dich immer am starken und hoffnungsvollen Wort, das du selbst als Primizspruch an den Beginn deines Priesterseins gestellt hast: „Habt keine Angst. Öffnet, ja reißt die Türen weit auf für Christus!“