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Predigten

Vorweihnachtliche Wortgottesfeier im Gefängnis von Bozen

Bischof Ivo Muser

Donnerstag, 18. Dezember 2025

Bozen, Haftanstalt in der Dantestraße

Liebe Inhaftierte, sehr geehrter Herr Direktor, sehr geehrte Beamtinnen und Beamte der Justizpolizei, lieber don Giorgio, lieber Herr Bertoldi, liebe Freiwillige, liebe Ehrenamtliche, liebe Mitarbeitende der verschiedenen Vereine, sehr geehrte anwesende Vertreterinnen und Vertreter der Institutionen!

Die Welt des Gefängnisses ist eine komplexe Realität. In ihr müssen die berechtigten Anliegen von Gerechtigkeit und Sicherheit für die Gesellschaft mit dem Einsatz für Wege der Wiedergutmachung für Menschen, die – teils schwer – schuldig geworden sind, zusammengehen: mit erzieherischen und versöhnenden Wegen, die eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen sollen.

Am vergangenen Sonntag hat Papst Leo XIV. anlässlich des Jubiläums der Gefangenen in der Petersbasilika in Rom gesagt:
„Liebe Schwestern und Brüder, die Aufgabe, die der Herr euch anvertraut – euch allen, den Inhaftierten ebenso wie den Verantwortlichen im Gefängniswesen –, ist nicht leicht. Die Herausforderungen sind zahlreich. Denken wir an die Überbelegung, an die noch unzureichenden Bemühungen, stabile Bildungsprogramme zur Wiedereingliederung und Arbeitsmöglichkeiten zu gewährleisten. Und vergessen wir auf einer persönlicheren Ebene nicht die Last der Vergangenheit, die Wunden am Körper und im Herzen, die Enttäuschungen, die unendliche Geduld, die es braucht – mit sich selbst und mit den anderen –, wenn man sich auf Wege der Umkehr begibt, sowie die Versuchung, aufzugeben oder nicht mehr vergeben zu wollen. Der Herr jedoch wiederholt uns trotz allem immer wieder, dass nur eines wirklich wichtig ist: dass niemand verloren geht (vgl. Joh 6,39) und dass alle gerettet werden sollen (1 Tim 2,4).“

Zu Weihnachten feiern wir das Geheimnis eines Lichtes, das sich vom Himmel her über die Welt öffnet und sie in der Dunkelheit der Nacht erhellt. Es ist ein Licht, das Vorgeschmack auf die Ewigkeit ist. Ein Licht, das Rettung verkündet und besonders dort leuchtet, wo Leid und Schmerz am größten sind.

Dies ist die alte und zugleich immer neue Botschaft des Propheten Jesaja, die wir in der biblischen Lesung gehört haben, die ich für dieses gemeinsame Gebet ausgewählt habe. Es ist die Botschaft, die in der Heiligen Nacht in allen katholischen Kirchen der Welt verkündet wird. Lassen wir zu, dass das Licht von Weihnachten die kleinen und großen Dunkelheiten der Gegenwart erhellt – auch die Dunkelheiten dieser Einrichtung.

Liebe inhaftierte Brüder, niemand von uns verharmlost das, was ihr getan habt. Auch mit dieser vorweihnachtlichen Feier will euch niemand sagen: Es ist schon in Ordnung so. Alles ist gut. Was ihr getan habt, war richtig. Nein, ihr müsst Verantwortung übernehmen für die falschen Entscheidungen eures Lebens. Aber trotz allem gilt: Niemand von euch darf seine Menschlichkeit verlieren. Das Licht von Weihnachten will auch euch erreichen. Niemand verdient es, vergessen, beiseitegeschoben, gedemütigt oder ausgesondert zu werden. Wir alle brauchen Vergebung, Versöhnung, eine ausgestreckte Hand, ein Wort der Nähe und ein offenes Herz.

Wir alle – innerhalb und außerhalb dieser Mauern – brauchen den Atem der Hoffnung, der von nichts und niemandem erstickt werden darf. Hoffnung darf niemandem genommen werden, denn sie ist die Kraft, die uns vorangehen lässt; sie ist die Ausrichtung auf die Zukunft, um das Leben zu verwandeln; sie ist ein Antrieb auf das Morgen hin: Sie ist ein Licht, das uns leben lässt.

In der Nähe von Weihnachten spreche ich einen aufrichtigen und herzlichen Dank aus und wünsche mir, dass dieser Dank auch außerhalb dieses oft verlassenen und vergessenen Ortes gehört wird:

Ich danke den Verantwortlichen und dem Personal dieser Einrichtung – in dem Bewusstsein, wie sensibel und wichtig eure Arbeit ist. Eure Fähigkeit, dem anderen die Hand zu reichen, hilft wirklich dabei, den Lebensweg eines Menschen zu verändern.

Ich danke den Freiwilligen, die bereit sind zuzuhören und den Dialog zu suchen, mit eurer Bereitschaft, euch einzulassen und ein Stück des Weges mit den Lebensgeschichten anderer Menschen zu gehen. Eine Präsenz, die unbezahlbar ist.

Ich danke dem Gefängnisseelsorger, don Giorgio: für seinen Einsatz im Dienst der Würde der Person, für seine Nähe zum Herzen jener, die schuldig geworden sind, für sein Zeugnis für das Evangelium, das den Weg zur Vergebung öffnet und zur Neugeburt führt.

Den inhaftierten Menschen und ihren Familien wünsche ich, dass Weihnachten Hoffnung schenkt. Zu Weihnachten ist Gott in Jesus Mensch geworden, er ist in die Welt gekommen, um uns zu retten. Das ist eine der wahrsten Botschaften von Weihnachten: Von Jesus, der geboren wird, ist jeder Mensch zur Neugeburt eingeladen. In dem Kind, dem Retter, können auch jene, die Fehler begangen haben, das Licht und die Kraft finden, um den Weg der Erneuerung zu suchen und ihn dann Tag für Tag zu gehen.

Die Heilige Nacht von Weihnachten ist ein neuer Anfang. Seit jener Nacht ist es dem Menschen möglich geworden, Kind Gottes zu sein. Möge dieses Weihnachten auch für euch Inhaftierte ein neuer Anfang sein, denn Jesus ist gekommen, um mitten unter uns zu wohnen und uns zu sagen, dass ein anderes Leben möglich ist, dass wir alle Kinder Gottes sind und eine andere Geschichte schreiben können.

Lassen wir uns gerade an diesem Ort von der uralten Verheißung des Propheten Jesaja treffen:
„Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (Jes 9,1).

Zünden wir dieses Licht neu an. Tragen wir dieses Licht weiter. Wir brauchen dieses Licht. Helfen wir alle mit, dass dieses Licht nicht erlischt – hier im Gefängnis und in allen Bereichen des familiären, sozialen und gesellschaftlichen Lebens. Wir alle brauchen die Hoffnung, die uns dieses Licht schenkt.

Frohe Weihnachten euch allen. Viel Hoffnung, viel Licht und viel Solidarität euch allen.