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Botschaften & Stellungnahmen

Bischof Ivo Muser - Schlusswort Tagung "Mut zur Umsetzung"

Bischof Ivo Muser

Bozen, Pastoralzentrum, 7. November 2025

Versagen der Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, Verantwortungsdiffusion, systemisches Totalversagen: so steht es im externen Aufarbeitungsbericht von Rechtsanwalt Dr. Wastl, den ich Mitte September in Auftrag gegeben habe. Ich könnte jetzt der Frage nachgehen, wie wir als Diözese angesichts dieses Befundes dastehen und wie wir unsere Reputation retten können. Doch das wäre die falsche Frage.

Die einzig richtige Frage lautet: Wie können wir den Betroffenen von Missbrauch Gerechtigkeit widerfahren lassen? Sie – die Betroffenen – und ihr Recht auf Schutz und Unterstützung sind der Grund, warum wir in unserer Diözese diesen Weg der Aufarbeitung begonnen haben. Wir vertrauen darauf, dass Heilung möglich ist und es ist Ausdruck unseres christlichen Glaubens, dass wir als Kirche besonders den Verletzten und Schutzbedürftigen verpflichtet sind.

Auf diesem Weg haben wir Fehler gemacht. Wir haben eine falsche Abzweigung genommen, und das hat auch Verletzungen verursacht. Gerade jene, um derentwillen wir begonnen haben, wurden zu wenig gehört. Das schmerzt. Aber wir bleiben nicht stehen. Auch wenn das Gutachten uns mit klaren Wahrheiten konfrontiert – wir lassen uns davon nicht lähmen: Wir wollen den Weg weitergehen. Wir wollen im Gehen dieses Weges aus Fehlern lernen. Nur wenn es ein gemeinsamer Weg ist, wo alle zu ihren Fehlern stehen und alle ihre Verantwortung wahrnehmen, können wir Fortschritte erreichen beim Anliegen, das uns verbindet und das wir alle wollen: Aufarbeitung und Prävention – auf der Seite der Betroffenen. Es ist meine Hoffnung und meine Überzeugung: Wir können das – gemeinsam.

Der einzige Weg, in der Spur Christi zu bleiben, ist die konsequente Hinwendung zu den Menschen, denen Unrecht geschehen ist. Abbrechen war für uns nie eine Option. Unser Glaube an die Menschenfreundlichkeit Gottes treibt uns an, alles zu tun, damit Missbrauch in unserer Mitte keinen Platz hat. Innere Konflikte und unklare Zuständigkeiten müssen wir überwinden. Nur gemeinsam – ehrlich und lernbereit – kommen wir weiter. Ich bin überzeugt: Wir können das – gemeinsam.

Das neue Gutachten benennt klar die Ursachen unserer Fehler: unklare Rollen, Doppelzuständigkeiten, Ämterhäufungen – und zu wenig Dokumentation von Entscheidungen. Wir ziehen daraus Konsequenzen:

Erstens: Die Einbindung der Betroffenen wird dauerhaft und verlässlich geregelt. Bis dahin werden sie in jedem einzelnen Fall direkt gehört.

Zweitens: Das gesamte Feld der Aufarbeitung und Prävention wird neu organisiert. Der Generalvikar wird in meinem Auftrag klare Strukturen und Verantwortlichkeiten festlegen.

Drittens: Alle Entscheidungen werden künftig lückenlos dokumentiert – aus Verantwortung und zur Nachvollziehbarkeit.

Unsere Prioritäten sind klar: eine konsequente Beteiligung der Betroffenen und eine unabhängige Interventionsstelle als Garant für Transparenz und Vertrauen.

Noch einmal in aller Klarheit: Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben. Wir geben sie auch zu. Es war keine böse Absicht, wie uns auch der Bericht von Dr. Wastl bestätigt. Trotzdem sind Fehler geschehen. Jetzt geht es darum, Verantwortung zu übernehmen, Strukturen zu ändern und konkrete Konsequenzen zu ziehen. Unser Ziel bleibt: den Betroffenen gerecht zu werden und Schutz für alle sicherzustellen.

Diese Arbeit betrifft nicht nur einen Bereich kirchlichen Handelns. Die Auseinandersetzung mit Missbrauch legt dieselben Schwächen offen, die wir auch in den Diskussionen über Synodalität sehen – hier bei uns, in Italien und weltweit. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, müssen wir jene Verhaltensweisen verändern, die Machtmissbrauch begünstigen und Beteiligung verhindern. Synodalität und Prävention gehören zusammen. 

Beide leben vom Hören, vom gemeinsamen Entscheiden und von transparenter Rechenschaft. Damit diese Haltung wachsen kann, braucht es Strukturen, und noch mehr Haltungen, die genau darauf ausgerichtet sind. Darum haben wir die Reform des bischöflichen Ordinariats begonnen. Es wäre eine Illusion zu glauben, die Probleme beträfen nur den Bereich der Aufarbeitung. Wir müssen uns gemeinsam einsetzen für klare Zuständigkeiten, für eine transparente Kommunikation und eine neue Kultur der Verantwortung.

Nur so können wir unserer Sendung treu bleiben und für die Menschen da sein – besonders für die Verletzten und Verwundeten. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Und das sind wir Christus und seinem Evangelium schuldig.

Am Ende bleibt ein Satz, den ich ganz bewusst wiederhole – nicht als Parole, sondern als Ausdruck unseres Glaubens und unserer Entschlossenheit: Wir können das – gemeinsam. 

Nicht aus eigener Kraft, sondern im Vertrauen darauf, dass Gottes Geist uns führt – Schritt für Schritt, auf dem Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Verantwortung und der Heilung.

Ich bedanke mich bei den Referenten der heutigen Fachtagung. Ich wünsche uns allen den Mut, die Kraft und die Entschiedenheit auf dem Weg weiterzugehen, den wir in unserer Diözese begonnen haben. Wir waren und sind nicht fehlerfrei, aber überzeugt, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen wollen und können. Ein jeder und eine jede von uns am eigenen Platz und mit der eigenen Verantwortung. Es braucht viele. Es braucht uns alle – und zwar gemeinsam.