Keine Frage. Zu den Highlights des Neuen Testaments gehört der Beginn des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.“ (Joh 1,1-3). Auch für den heutigen Tagesheiligen ist der Johannesprolog ein Highlight. Und vielleicht gerade deswegen setzt er ihm einen Akzent gegenüber, der uns Wichtiges zu sagen hat: Das Schweigen.
Der heilige Bruno wurde um 1030 in Köln geboren. Mit kaum 30 Jahren wird er Leiter der Domschule in Reims, Lehrer von Männern, die einmal die Kirche prägen werden. Sein berühmtester Schüler ist der spätere Papst Urban II.
1083 wird er Benediktiner-Mönch. Wenig später verlässt er mit sechs Gefährten das Kloster und geht in die Gebirgswildnis bei Grenoble: der Anfang der Grande Chartreuse, Mutterkloster des Kartäuser-Ordens. Aus dem Schweigen ruft ihn der Papst nach Rom als geistlichen Berater. 1091 gründet Bruno in Apulien eine weitere Kartause, La Torre; dort stirbt er am 6. Oktober 1101.
Die Lesung und das Evangelium seines Gedenktages unterstreichen, worum es beim christlichen Schweigen geht: Bruno will wie Paulus sein Leben lang sagen: „Ich strebe, ich strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt!“. Er hat wie der Völkerapostel „das Ziel vor Augen“: „Christus will ich erkennen.“ Und das braucht die Haltung des Innehaltens, des Vertiefens, des Schweigens.
Im Evangelium sagt Jesus: „Der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ Das meint nicht nur geographische oder soziale Heimatlosigkeit. Das meint Offenheit für den Willen Gottes. Innere Freiheit. Keine Sesshaftigkeit, die uns unfrei macht. Im Tagesgebet stand heute die Bitte: „dass wir uns nicht blenden lassen vom Glanz dieser Welt.“ Wer sich vom Glanz dieser Welt blenden lässt, sitzt fest. Das ist die Überzeugung, die Bruno mit seinem Orden in die Kirche einbringt.
Das Schweigen, um das es dem heiligen Bruno geht, ist nicht das Schweigen der Menschen, die nie gelernt haben zu reden, die sich nicht einbringen wollen, die nichts sagen, um nirgends anzuecken, die lieber schweigen als Stellung zu beziehen. Bruno empfiehlt seinen Mönchen eindringlich das Studium, die Beschäftigung mit Philosophie und Theologie, die Bildung in einem umfassenden Sinn. Und in allem das Schweigen, um innerlich frei zu werden und Gott und seinem Wort Raum zu geben.
Wir leben in einer lauten Zeit. Eine Nachricht jagt die andere. Wir sind oft Gefangene der Wörter. Immer reden und sich zu Wort melden. Sich überall einmischen und meinen, alles zu verstehen und zu wissen. Immer das letzte Wort haben in jedem noch so dummen Streit. Immer die letzten Neuigkeiten verbreiten. Debatten führen, nicht um zu lernen und um der Wahrheit willen, sondern um der Debatte selbst willen. Jede Talkshow zeigt uns diesen Überfluss der Wörter. In den sozialen Medien reden viele Menschen, die nichts zu sagen haben und doch reden, die urteilen und verurteilen und nicht bedenken, was unbedachte, schnelle Worte alles zerstören können. Im Matthäusevangelium steht das Wort Jesu: „Ich sage euch:
Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Mt 12, 36). Das Schweigen, das der heilige Bruno empfiehlt, trägt uns auf: Sei diskret! Tritt zurück! Gehe verantwortungsvoll, behutsam, ehrfürchtig mit dem Wort um. Deinetwegen. Der Menschen wegen. Gottes wegen.
Keine Frage: Die Kirche braucht das Wort, die Verkündigung, die Theologie, den Austausch und das offene Gespräch. Der Glaube wird weiter gegeben durch das Wort. Die Kirche als Gemeinschaft lebt auch vom Wort. Damit aber Wort und Gemeinschaft echt werden, über Formeln, Moden, Schlagworte und schnelle Posts hinauskommen, braucht es das Schweigen, das Hinhören, das Innehalten, die Stille, das Reflektieren, die Zurückhaltung und die Anbetung.
„Das Schweigen ist der Weg, der zum Leben führt,“, sagt der heutige Tagesheilige. Das ist das Ziel: das Leben. Im Geschwätz wird es nicht zu finden sein, auch nicht in der Gruppe der Komplizen, die nur schreien, anklagen, fordern und so oft auch Leben zerstören.
Wir sind keine Kartäuser. Wir müssen es auch nicht sein. Ich persönlich habe nie eine solche Berufung gespürt. Bruno und seine radikale Berufung können uns aber viel sagen – mitten im Leben. Auch am Beginn des Studien- und Seminarjahres. Der dänische Religionsphilosoph und Theologe Sören Kierkegaard sagte einmal: „Wenn ich Arzt wäre und man mich fragen würde, was das Wichtigste wäre, damit die Menschen genesen, ich zögerte keinen Augenblick mit der Antwort: Schaff Schweigen! Denn im Lärm kann man Gottes Stimme nicht hören“.