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Pressemitteilungen 2025

Analyse zum Fall Carli vorgestellt – Diözese will Strukturen verändern und Betroffene einbinden

Nach der Analyse zum Fall Don Giorgio Carli will die Diözese Bozen-Brixen Strukturen verändern und Betroffene einbinden. Das betonte Bischof Ivo Muser heute (7. November) bei der Fachtagung „Mut zur Umsetzung“, bei der Rechtsanwalt Ulrich Wastl von einem „systemischen Totalversagen“ sprach. Zugleich wurde mit Beiträgen von Peter Beer, Helmut Hell und Gottfried Ugolini aufgezeigt, wie eine verantwortliche Organisationskultur, ein reflektierter Umgang mit Spannungen und eine gelebte Aufmerksamkeit für Betroffene zur Umsetzung der Ziele des Projekts „Mut zum Hinsehen“ beitragen können.

Gottfried Ugolini, Leiter des diözesanen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen, eröffnete die Tagung und betonte, dass Aufarbeitung nur mit einer Haltung der Ehrlichkeit und Lernbereitschaft gelingen könne: „Wir brauchen alle zusammen, einschließlich der Betroffenen, einen strukturellen Kulturwandel, der in eine persönlich verantwortete Haltungsänderung mündet: hin zu einer menschlicheren, christlicheren, sozial gerechteren und solidarischeren kirchlichen und gesellschaftlichen Weggemeinschaft. Diese Haltung muss sich in sichtbares und erfahrbares Handeln übersetzen, das von Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Kompetenz geprägt ist.“ 

Rechtsanwalt Ulrich Wastl von der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) stellte die zentralen Ergebnisse der externen Prozessanalyse vor, die im Auftrag der Diözese die Abläufe rund um die geplante Versetzung von Don Giorgio Carli untersucht hatte. Die Analyse zeige, dass nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Jänner 2025 entscheidende Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen versagt hätten. „Es hat keine einzelne Person versagt, sondern das System als Ganzes,“ sagte Wastl. „Entscheidungen wurden ohne klare Zuständigkeiten, ohne ausreichende Dokumentation und ohne die Perspektive der Betroffenen getroffen.“ Ziel der Untersuchung sei nicht die Suche nach Schuldigen, sondern das Lernen aus Fehlern. „Systemisches Versagen kann zur Chance werden, wenn Verantwortung und Transparenz neu geordnet werden,“ sagte Wastl. Die Zusammenfassung der Prozessanalyse von Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kann hier heruntergeladen werden.

Bischof Muser: konsequente Beteiligung der Betroffenen und unabhängige Interventionsstelle

In seinem Schlusswort nahm Bischof Ivo Muser die Ergebnisse der Analyse auf und bekannte, dass die Diözese strukturelle Fehler gemacht habe. „Wir bekennen unsere Schuld in der Wir-Form. Es war keine böse Absicht, aber es war ein Versagen. Wir wollen daraus lernen und wir übernehmen Verantwortung,“ sagte der Bischof. Muser kündigte drei konkrete Konsequenzen an:

  1. Dauerhafte Einbindung der Betroffenen in Entscheidungsprozesse;
  2. eine organisatorische Neuordnung des Bereichs Aufarbeitung und Prävention unter klar definierten Zuständigkeiten;
  3. lückenlose Dokumentation aller relevanten Entscheidungen und Abläufe.

Zudem soll so schnell wie möglich eine unabhängige Interventionsstelle als Kontroll- und Vertrauensinstanz eingerichtet werden. „Wir wollen den Betroffenen gerecht werden und alles tun, um künftige Betroffene zu schützen,“ betonte Muser. „Aufarbeitung, Veränderung und Verantwortung gehören zu unserem kirchlichen Auftrag. Wir können das – gemeinsam.“

Die Rede des Bischofs kann hier nachgelesen werden.

Veränderung gestalten, Spannungen aushalten

Peter Beer, ehemaliger Generalvikar der Erzdiözese München und heute am Institut für Anthropologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom tätig, sprach heute bei der Tagung über den Umgang mit Spannungen im Prozess der Aufarbeitung. „Der Bischof hat nach der Vorstellung des ersten Berichts über die Missbrauchsfälle in der Diözese eine neue Fehlerkultur angekündigt und er löst heute dieses Versprechen ein. Die heutige Tagung mit dem Bericht über mannigfaches Versagen ist der Ernstfall dieser Fehlerkultur“, sagte Beer. Zum Thema Verantwortung, Leitung und Kirchenmitglieder sagte er: „Wie wächst Vertrauen? Nicht dadurch, dass man vorgibt, perfekt zu sein, sondern indem man anerkennt, es nicht zu sein, darüber spricht und gemeinsam Verbesserungen, Veränderungen und Weiterentwicklungen angeht. Genau das passiert hier.“

Organisationsberater Helmut Hell lenkte den Blick auf die Organisationskultur als zentrale Steuerungsgröße. Eine glaubwürdige Kirche, erklärte Hell, brauche eine Kultur des Lernens, der Rechenschaft und der offenen Kommunikation. Täter würden ein Umfeld benötigen, erklärte Hell, in dem sie ihre Taten begehen können. Dieses Umfeld könne aber durch eine bewusste Veränderung der Organisationskultur so gestaltet werden, dass die Kirche ein sicherer Ort für Kinder und schutzbedürftige Menschen werde.

Wichtige Themen für diese Veränderung seien die Schaffung einer transparenten Organisationskultur mit der Vergabe von Aufgaben nach fachlicher Kompetenz - weniger nach Weihe oder Amtsrang - sowie eine stärkere Einbindung von Frauen und eine klar definierte Verteilung der Entscheidungskompetenz. Eine solche Kultur, so Hell, müsse den Dialog und die Einbeziehung unterschiedlicher Personen fördern, Eigenverantwortung stärken und reflektierten Widerspruch gegenüber Vorgesetzten als Wert und Dienst an der Diözese verstehen.

Aufarbeitung und Synodalität gehören zusammen

Bischof Muser stellte die aktuellen Reformprozesse der Diözese in einen größeren Zusammenhang. Die Auseinandersetzung mit Missbrauch, sagte Muser, lege dieselben Schwachstellen offen, die auch in der Diskussion über Synodalität sichtbar werden: „Wenn wir glaubwürdig sein wollen, müssen wir jene Verhaltensweisen verändern, die Machtmissbrauch begünstigen und Beteiligung verhindern. Synodalität und Prävention gehören zusammen“, sagte der Bischof.