Heute möchte ich mit Ihnen über die Ergebnisse des Gutachtens zu Missbrauchsfällen in unserer Diözese sprechen. Dies ist kein leichter Schritt, aber ein entscheidender. Vertrauen kann nur durch Transparenz und Ehrlichkeit wiedergewonnen werden.
Heute ist der Gedenktag des heiligen Franz von Sales, des Schutzpatrons der Journalistinnen und Journalisten. Franz von Sales schrieb einiges über das Suchen nach der Wahrheit und über die Bedeutung von Ehrlichkeit. Dazu braucht es Mut und Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Transparenz - gerade im Blick auf die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und den notwendigen Konsequenzen, die Veränderungen bewirken müssen – im Denken, Reden und Tun. Ohne eine solche veränderte Haltung und Umgestaltung unseres Alltags verlieren wir als Kirche, und das ist meine tiefe Überzeugung, noch mehr an Vertrauen und an Glaubwürdigkeit. Hier geht es insgesamt um einen Kulturwandel.
Eingeständnis und Verantwortung
Ich habe in diesen Tagen den Bericht gelesen. Ich weiß, dass Sie von mir keine Betroffenheitsrhetorik hören wollen. Zu Recht. Doch lassen Sie mich sagen, dass mich insbesondere die Falldarstellungen und das persönliche Leid, das aus dem Gutachten so deutlich hervorgeht, tief bewegt haben.
Von Missbrauch verletzte Kinder und junge Menschen blieben ungesehen oder wurden ungesehen gemacht. Täter wurden versetzt, nach dem Motto: aus dem Blick, aus dem Sinn. Familien, Pfarrgemeinden und Gemeinschaften wurden als Mitbetroffene und Mitleidende einfach übersehen und sich selbst überlassen. Auch in Familien und Pfarrgemeinden wollte man nicht sehen. Man wusste, aber man schwieg. Von Aufgaben und Verantwortungen wurde abgesehen, um das eigene Ansehen und das der Kirche zu wahren.
Das alles und noch mehr geschah im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen und es kann wieder passieren, wenn wir nicht hinzusehen. Wir brauchen den Mut, zu verstehen, warum sexueller Missbrauch und andere Formen von Gewalt passieren konnten, warum sie vertuscht oder verharmlost wurden, warum Menschen von der Bildfläche verschwinden mussten, warum Betroffene es nicht mehr geschafft haben zu leben und welche Verantwortung wir deshalb für heute und für die Zukunft entschlossen übernehmen und sichern müssen.
Das Gutachten zeigt schwerwiegende Versäumnisse – nicht nur systemisch, sondern auch persönlich. Ich persönlich will Ihnen sagen: ich übernehme Verantwortung für die Fehler, die während meiner Amtszeit und von mir gemacht wurden. Dazu gehören:
- Unzureichende Kontrolle auffälliger Priester.
- Zurückhaltung beim Ergreifen klarer präventiver Maßnahmen gegenüber beschuldigten Priestern.
- Mangelhafte Dokumentation der eigenen Schritte im Umgang mit Missbrauchsfällen.
Ich bitte die Betroffenen, die Pfarrgemeinden, die beschuldigten Priester und die Gläubigen unserer Diözese um Vergebung für meine Versäumnisse als Bischof und übernehme die Verantwortung dafür.
Wichtige Erkenntnisse aus dem Gutachten
Das Gutachten identifiziert nach der Sichtung der diözesanen Archive
- 41 beschuldigte Priester: Davon konnten bei 29 die Taten mit hoher Sicherheit bestätigt werden.
- 75 Betroffene: Bei 59 von ihnen liegen sehr plausible Hinweise vor.
- 24 Fälle, bei denen fehlerhaftes oder unangemessenes Handeln kirchlicher Verantwortlicher festgestellt wurde, wurden im Gutachten ausführlich dokumentiert.
Diese Zahlen sind erschütternd und machen uns die Tiefe des Leids bewusst, das über Jahrzehnte hinweg in unserer Diözese geschehen ist.
Wir wissen, dass das, was wir im Gutachten lesen, nur die Spitze des Eisberges ist. Die Anwälte, die das Gutachten erstellt haben, sowie unzählige Studien machen uns unmissverständlich deutlich, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches höher liegt. Umso mehr gilt nun, dass das Gutachten kein Zwischenschritt ist, kein Etappenziel, das Gelegenheit zum Ausruhen gibt, sondern ein Auftrag, mit all unseren Kräften weiterzuarbeiten. Wir müssen alles tun, um das Leid der Betroffenen zu lindern, das geschehene Unrecht anzuerkennen und neues Leid zu verhindern. Deshalb habe ich das Projekt „Mut zum Hinsehen“ in Auftrag gegeben.
Wir wissen, dass Missbrauch nicht auf die Kirche beschränkt ist, dennoch ist die Kirche in Anbetracht ihrer moralischen Rolle dazu aufgerufen, besonders rigoros vorzugehen. Und das werden wir.
Systemische Defizite und Konsequenzen
Das Gutachten zeigt, dass Missbrauch durch starre Machtstrukturen, unkontrollierte Autorität und eine mangelnde Fehlerkultur begünstigt wurde. Es beschreibt eine Kirche, die in vielen Bereichen von Strukturen dominiert war, in denen Betroffene ignoriert und Täter geschützt wurden.
Diesen Defizite müssen grundlegend angegangen werden, um Kirche zu einem sicheren Ort zu machen. Das ist nur durch einen radikalen Kulturwandel, der ein neues Bewusstsein und veränderte Haltungen einschließt, nachhaltig möglich.
In unserer Diözese hat in den letzten Jahren ein Prozess der Veränderung eingesetzt, der die Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Als Bischof will ich den eingeschlagenen Weg fortsetzen und mit noch größerer Entschiedenheit vom Leid und Unrecht der Betroffenen ausgehen, ihr Umfeld, die Täter und das System in den Blick nehmen und Veränderungen anstoßen.
Konkrete Maßnahmen
Konkret möchte ich folgende Punkte angehen:
- Konsequente Verfolgung von Verdachtsfällen und klare Verfahrenswege: Das Gutachten hat uns aufgezeigt: Verdachtsfälle wurden nicht verfolgt, Missbrauchsvorfälle wurden nicht nach Rom gemeldet, beschuldigte Priester und Täter versetzt oder deren Auflagen nicht eingefordert, andere wurden ohne Vorinformation der Pfarrgemeinden eingesetzt. Die Diözese Bozen-Brixen verfügt bereits über ein Rahmenkonzept für Prävention, eine Richtlinie für die Verfahrensweise der Ombudsstelle sowie Leitlinien für das Vorgehen bei aktuellen oder früheren Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich. Es bestehen aber Unklarheiten bezüglich der Verbindlichkeit dieser Dokumente.
Ich werde sofort eine Gruppe interner und externen Fachleute beauftragen, unter Einbeziehung der diözesanen Gremien aus den bestehenden Dokumenten entsprechende Richtlinien für Vorgangsweisen abzuleiten, die dann verbindlich eingeführt und transparent umgesetzt werden. Diese Aufgabe soll innerhalb 2025 abgeschlossen sein.
- Optimierung der Dienste für Betroffene, Pfarrgemeinden und Täter: Das Gutachten und die Empfehlungen zeigen, dass eine Überprüfung und Differenzierung der verschiedenen Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche von Ombudsstelle, Interventionsstelle und Präventionsdienst notwendig sind.
In diesem Zusammenhang wird ein Interventionsteam eingerichtet, das der Diözesanleitung einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet im Blick auf Betroffene, auf Täter und auf den Umgang mit Verdachts- und Missbrauchsfällen.
Diese Schritte sollen innerhalb dieses Jahres abgeschlossen, approbiert und umgesetzt sein.
- Konsequente Aufarbeitung: Maßnahmen mit Monitoring und Überprüfungen, um Wiederholungen zu verhindern.
In Bezug auf beschuldigte und noch lebende Priester wird eine interdisziplinäre Gruppe eingesetzt, die ab sofort alle Fälle überprüft und wenn es notwendig ist, mir Maßnahmen für das weitere Vorgehen vorschlägt. Dabei wird angestrebt, nicht nur verurteilte Personen der Führungsaufsicht zu unterstellen, sondern auch solche, bei denen aus präventiven Gründen unter anderem Tätigkeitsbeschränkungen erforderlich sind.
- Umgang mit Macht und Leitung: Jeder Missbrauchsfall ist ein Fall von pervertierter Machtausübung. Ich plädiere für einen Umgang miteinander, bei dem die Würde eines jeden Menschen respektiert wird. Die gegenseitige Achtung zwischen Priester und Laien, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, Frauen und Männern ist entscheidend.
Jeder Mitarbeitende, der in Konstellationen arbeitet, in denen es Machtgefälle gibt, muss diese permanent reflektieren. In der Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen müssen deshalb die Themen Macht, Verantwortung und Selbstreflexion berücksichtigt und eingeübt werden. Darüber hinaus ist eine persönliche Hinterfragung der eigenen Machtposition in Supervisions- und Praxisreflexionsgruppen notwendig. - Frauen in Leitungsfunktionen: Das Gutachten zeigt, dass 68 % der Betroffenen weiblich waren und die Mehrzahl derer, die sich bei den Anwälten gemeldet haben, Frauen sind. Wir haben inzwischen viele ausgebildete, erfahrene und kompetente Frauen, die in verschiedenen Bereichen bereits tätig sind und einen wesentlichen Beitrag für das kirchliche und soziale Leben leisten.
Zum Beispiel werden am Bischöflichen Ordinariat mittlerweile vier von neun Ämtern von Frauen geleitet. Dieser Realität wird in Zukunft bei der Besetzung von Leitungspositionen weiter und verstärkt Rechnung getragen. Im Sinne einer vorausschauenden Personalpolitik planen wir Förderprogramme für Frauen in Führungspositionen. - Umgang mit Fehlern: Im Gutachten ist auf eine zu verbessernde Fehlerkultur hingewiesen worden.
Nur wenn wir Fehler anerkennen, daraus lernen und Transparenz schaffen, können wir Veränderungen bewirken. Diese Grundhaltung ist als fester Bestandteil unserer Arbeitsweise in allen Bereichen vorzusehen und einzuhalten. Fehler, die wahrgenommen und angesprochen werden, bieten die Chance zum Verbessern und Optimieren. Das gehört in alle Arbeitsbeschreibungen und zu allen Arbeitsvorgängen. Wir werden dazu bei Fortbildungen und Schulungen dieses Thema aufgreifen. Voraussetzung und Grundlage für gute Fehlerkultur sind gegenseitiges Vertrauen.
Das Gutachten hat uns aufgezeigt: Verdachtsfälle wurden nicht verfolgt, Missbrauchsvorfälle wurden nicht nach Rom gemeldet, beschuldigte Priester und Täter versetzt oder deren Auflagen nicht eingefordert, andere wurden ohne Vorinformation der Pfarrgemeinden eingesetzt.
Die Diözese Bozen-Brixen verfügt bereits über ein Rahmenkonzept für Prävention, eine Richtlinie für die Verfahrensweise der Ombudsstelle sowie Leitlinien für das Vorgehen bei aktuellen oder früheren Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich. Es bestehen aber Unklarheiten bezüglich der Verbindlichkeit dieser Dokumente.
Ich werde sofort eine Gruppe interner und externen Fachleute beauftragen, unter Einbeziehung der diözesanen Gremien aus den bestehenden Dokumenten entsprechende Richtlinien für Vorgangsweisen abzuleiten, die dann verbindlich eingeführt und transparent umgesetzt werden. Diese Aufgabe soll innerhalb 2025 abgeschlossen sein.
Das Gutachten und die Empfehlungen zeigen, dass eine Überprüfung und Differenzierung der verschiedenen Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche von Ombudsstelle, Interventionsstelle und Präventionsdienst notwendig sind.
In diesem Zusammenhang wird ein Interventionsteam eingerichtet, das der Diözesanleitung einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet im Blick auf Betroffene, auf Täter und auf den Umgang mit Verdachts- und Missbrauchsfällen.
Diese Schritte sollen innerhalb dieses Jahres abgeschlossen, approbiert und umgesetzt sein.
Auch diözesane Richtlinien wie zum Beispiel „Miteinander im Leitungsdienst in der Pfarrseelsorge“ werden vor diesem Hintergrund überprüft und im Bedarfsfall überarbeitet.
Einladung zum gemeinsamen Weg
Ich rufe die Betroffenen auf, ihre Geschichten mit uns zu teilen. Ihr Wissen, Ihre Erfahrungen und Ihre Perspektiven sind von unschätzbarem Wert für den weiteren Prozess der Aufarbeitung. Und ich danke Ihnen bereits heute dafür.
Bitte wählen Sie dafür den Weg, der für Sie gangbar ist: Sie können sich an die Ombudsfrau Maria Sparber wenden, an den Leiter des Dienstes für den Schutz von Minderjährigen, Gottfried Ugolini, an den Generalvikar oder an mich persönlich. Darüber hinaus können Sie sich an weitere unabhängige Stellen wenden. Eine Liste finden Sie in den Unterlagen zu dieser Pressekonferenz. Sie können dies persönlich tun oder anonym. In welcher Form auch immer Sie uns ihre Geschichte erzählen: Wir werden sie ernst nehmen. Sie bilden eine wertvolle Grundlage, um dazuzulernen und vielleicht auch Schritte zur Heilung einzuleiten.
Schlusswort
Mit Demut und Entschlossenheit lade ich Sie ein, diesen Weg der Aufarbeitung und Veränderung gemeinsam mit uns zu gehen.
Als Journalistinnen und Journalisten haben Sie eine Wächteraufgabe, ob die Kirche ihren Auftrag gut erfüllt. Sie helfen mit, dass Missbrauchsfälle nicht verschwiegen werden können und dass sie aufgedeckt werden.
Sie als Journalistinnen und Journalisten tragen mit Ihrer konstruktiven und kritischen Berichterstattung wesentlich dazu bei, dass wir als Diözese sowohl innerhalb der Kirche als auch außerhalb in der Gesellschaft vermitteln, dass:
- unsere erste Aufmerksamkeit den Betroffenen gilt und ihr Leid unser entschiedenes Tun erfordert.
- jegliche Form von Missbrauch und Gewalt ein Vergehen gegen die Würde, die Freiheit und das Leben eines Menschen ist
- zu unserem ureigenen Auftrag als Kirche die Verpflichtung gehört, Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und zu verhindern.
Die Arbeit und die Veränderung ist gelungen, wenn wir uns auf die Kompetenz und die Eigenverantwortung der vielen Gläubigen verlassen können. Vertrauen in die Stärke und die Reflexionsfähigkeit aller Verantwortlichen in der Diözese muss am Ende des Prozesses stehen. Ich und meine engsten Mitarbeitenden werden in diesem Anliegen mit gutem Beispiel vorangehen.
Es braucht uns alle, damit wir jenen Kulturwandel schaffen, der geschehenes Leid und Unrecht lindern und künftiges verhindern hilft. Es braucht uns alle.