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Häufig gestellte Fragen allgemein zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen

Dieser Vorwurf übersieht das Leid und Unrecht, das Betroffene als Minderjährige erlitten haben. Diese führen oft zu lebenslangen schweren Folgen in der Beziehung zu sich selbst, zu den anderen, zu Gott, zu Leben und Zukunft. Außerdem trägt dieser Vorwurf indirekt dazu bei, dass die Voraussetzungen, die zum Missbrauch führen, unterschwellig weiterhin Bestand haben und weitere Minderjährige gefährden. Die Auseinandersetzung mit den Missbrauchsfällen erfolgt in erster Linie entsprechend dem Evangelium und den christlichen Grundwerten: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)   

Die nicht aufgearbeiteten Geschichten bleiben weiterhin wirksam und belasten nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern der ganzen Familie und Gesellschaft. Sie werden an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Menschen, die mit ihren traumatisierenden Erfahrungen allein fertig werden müssen, weil sie sich niemanden anvertrauen können, weil ihnen nicht geglaubt wird, weil ihnen die Schuld zugeschoben wird oder weil sie keine soziale, fachliche und rechtliche Unterstützung erhalten, haben Schwierigkeiten in ihrer Lebens- und Beziehungsgestaltung. Die alten Geschichten wirken sich auf das Zusammenleben, auf die Lebenseinstellungen und auf das soziale Bewusstsein aus. 

Die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle löst unterschiedliche und widersprüchliche Reaktionen und Erwartungen aus. Das kann zu Spannungen und Konflikten führen, die die Sinnhaftigkeit und den Nutzen der Aufarbeitung betreffen und vom Ziel der Aufarbeitung ablenken können. Der Mehrwert der Aufarbeitung besteht darin, dass über die Erhebung von Zahlen hinaus ein grundlegender Veränderungsprozess angestoßen wird. Dieser rückt die ureigene Aufgabe der Kirche und die christlichen Werte sowie die kirchliche Soziallehre angesichts der Verbrechen gegen die Würde, die Freiheit und das Leben des Menschen in den Vordergrund. 

Durch die Aufarbeitung sollen Betroffene ihre Würde zurückgewinnen, Gerechtigkeit fahren und ihr Leben selbst bestimmen. Die Aufarbeitung bietet Einblick in die Missbrauchsdynamik und in den Umgang mit Missbrauchsfällen sowohl von Seiten der Verantwortlichen und jener, die Verdacht schöpften und Bescheid wussten. Ohne Aufarbeitung bleibt Prävention oberflächlich und wirkungslos. Eine ernsthafte und umfassende Auseinandersetzung mit den systemischen Bedingungen des Missbrauchs ermöglicht radikale Konsequenzen und gezielte Maßnahmen in den Bereichen Intervention, Prävention und Monitoring. 

Es wäre ein Fehler, Missbrauchsfälle aus der Vergangenheit mit Maßstäben von heute zu bewerten. Selbstverständlich sind die gesetzlichen Vorgaben und kulturellen Maßstäbe der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen. Was bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesellschaftlich akzeptabel war, wie zum Beispiel körperliche Strafen (bis zu einem bestimmten Ausmaß), wird nicht als Missbrauch eingestuft. Handlungen, die über die damaligen kulturell und gesellschaftlich akzeptierten Maßstäbe hinausgehen, zum Beispiel jemand krankenhausreif zu schlagen, war und ist rechtlich relevant. Hier ist eine differenzierte Bewertung vorzunehmen. 

Unabhängig von der Bewertung sind die leidvollen Folgen der Betroffenen ernst zu nehmen und anzuerkennen. 

Auch in Bezug auf den sexuellen Missbrauch bestehen Unterschiede in der Einschätzung.

Haltungen und Handlungen, die heute als grenzverletzend erachtet werden, wie zum Beispiel verbale sexistische Äußerungen, Klaps auf den Hintern, herabwürdigende Blicke, waren bis vor kurzem gesellschaftlich akzeptiert bzw. wurden auch nicht als strafrechtlich relevant eingestuft. Das bedeutet, dass eine damit zusammenhängende mögliche Kränkung und Verletzung der Würde der Person nicht berücksichtigt wurden.

Einhergehend mit der Änderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, d.h. mit der Steigerung des gesellschaftlichen Bewusstseins in Bezug auf sexuellen Missbrauch, werden heute derartige Haltungen und Handlungen nicht mehr akzeptiert und in der Folge von der Rechtsprechung als sexuelle Belästigung und damit als strafrechtlich relevant erachtet und entsprechend geahndet.